Amphitryon – ganz ohne göttliche Belohnung
Jupiter in Gestalt Amphitryons, lautet die Regieanweisung über dem 1.Aufzug, 4. Auftritt in Kleists Amphitryon. „Eine uneinlösbare Regieanweisung“, nennt die Regisseurin und Teil-Autorin der Düsseldorfer Aufführung Milena Michalek diese von Kleist geforderte „Unmöglichkeit“ und erklärt, dass sie ihre Inszenierungen stets von der Gruppe her denkt, und dass die Frage nach echter Identität in der Verwechslungskomödie Amphitryon erst durch die Gruppe erfahrbar wird. Und mit dieser Gruppe, einem fünfköpfigem Ensemble, wirft sie einen Blick auf den uralten Stoff, von dem schon mehr als vierzig Bühnenversionen existieren (von Sophokles, Plautus und Molière über Kleist und Giraudoux) und verflicht sie mit eigenen Gedanken und Bildern zu Vertrauen und Verrat.
Dabei schafft sie über die Verwirrung durch die Doppelungen und Verwechslungen bei Kleist (und allen anderen Vorgängern) hinaus eine weitere Spielebene im Hier-und-Jetzt, die allerdings teilweise für zusätzliche Irritationen sorgt. Doch bei allem Durcheinander bleibt der harte Kern der kleistschen Komödie von 1807 erhalten: Jupiter, der höchste der Götter, verbringt in Gestalt des siegreichen Feldherrn Amphitryon eine nahezu himmlische Liebesnacht mit Alkmene, dessen Gattin. Als der echte Gatte am nächsten Morgen heimkehrt, beginnen die Irritationen und Verwicklungen. Es stellen sich Fragen zu Wahrheit und Verrat. Das berühmte „Ach“ der Alkmene taucht hier schon auf bei der Abwägung zwischen Gatten- und Geliebten-Liebesmacht. Es wiederholt sich in Düsseldorf noch sechsmal, nicht aber am Ende, wie beim kleistschen Original. Doch endet auch diese Inszenierung mit der Liebesgewissheit, der „reinen Liebe“ der Alkmene, die durch ein kräftiges von der Souffleuse aus der ersten Reihe in den Saal gerufenes: „Er ist es!“ bestätigt wird. Gemeint ist natürlich der echte Amphitryon.
Bei Kleist beginnt und endet die Komödie „in Theben vor dem Schloss des Amphitryon“, in Düsseldorf wohl eher an der Straßenecke gleich nebenan. Auf der leeren, schwarzen Bühne, die später auch mal durch einen leicht transparenten schwarzen Vorhang wellenförmig unterteilt wird, erscheint die „Gruppe“: fünf bizarr bunt kostümierte Figuren, von denen keine auf einen Feldherren, eine Schlossherrin oder gar einen wahren Gott verweisen kann. Thema dieser Gruppe ist nicht die gegen Athen gewonnene Schlacht, von der der Herrin Kunde gebracht werden soll, sondern schlicht die Frage, ob man beim Radeln einen Helm tragen sollte. Wer genau hinhört (oder den Stücktext kennt) stellt fest, dass dort nicht Amphitryon, Alkmene, Merkur, Sosias und Charis reden, sondern Alphi, Alkmeni, Merkür. Sosia und Choris.
Von der Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit mit oder ohne Helm einen Unfall zu erleiden, kommen die Fünf auf die kleistsche Dramaturgie und wechseln gleitend in die kleistschen Rollen (natürlich jetzt mit den klassischen Namen), wenn auch mit pfiffigen Texteinlagen: da überlegt Sosias, ob er seine Rolle so gut wie Ulrich Matthes spielen wird. Sosias, im klassischen Stück der Diener Amphitryons, der hier nicht nur von einer Frau gespielt wird, sondern - mir völlig unverständlich - auch eine Dienerin sein soll. Wenn sie dann aber im Text ihr Herr sie als Schurke, Hundsfott, Halunke und Verräter beschimpft, wird die Verwirrung unnötig weitergetrieben. Sei’s drum: er oder sie wird von Sophie Stockinger hinreißend komisch gegeben. Urkomisch, kraftvoll und so gar nicht soldatisch kommt auch der irritierte, gehahnreite Amphitryon (Amphi) des Claudius Steffens daher. Begleitet von der strahlend in sich ruhenden Fnot Taddese als liebessichere Alkmene (Alkmeni). Da fehlt noch Jupiter, der muss sich den Schauspieler mit Charis(Choris) teilen. ( Grandios in schnellem Wechsel: Jonas Friedrich Leonardt). Charis, im Original Sosias Frau, hier folgerichtig ihr Mann. Sie wird im Original in einer Parallele zur Haupthandlung von Merkur angeflirtet, daraus folgt, dass der Götterbote hier weiblich auftreten muss. (Temperamentvoll, kokett von Blanka Winkler gegeben, die neben einer beklatschten Handstand-Einlage am Ende auch noch mit einer musikalischen Schlussszene brilliert.)
Kaum hat man das alles sortiert, treten die Fünf wieder in ihrer Jetzt-Zeit-Rolle auf, setzen sich auf Kinderstühlchen im Halbkreis und diskutieren: Merkür äußert sich als Wespenforscher, Alkmeni als Gruppenforscherin und Sosia als Kleistfan, der das Gespräch analog zu Hermann Hesses Zauberstufen mit dem Satz zusammenfasst: „ Jeder Krise wohnt ein Zauber Inne.“ Das alles ist witzig, vielleicht auch geistreich, ein Zusammenhang zum kleistschen Stück bleibt mir allerdings verborgen.
Nach Kleist-Texten, auch mal ein Singsang oder Songs wie „Lüg mich nicht an“, geht es der Gruppe um Hormone, Orchideen oder Bakterien. Oder um Wortspiele, etwa um die Stadt in der Kleist stattfand. Ganz witzig auch der „Whatsappchor“ gegen Ende, in dem die Gruppe versucht, eine „Gruppe“ zu bilden und die kommunikativen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten durchspielt.
Irgendwann erscheint die berühmte Kleist-Miniatur von Peter Friedel in Plakatgröße auf der Bühnenrückwand, auf der der Meister dann gegen Ende der Aufführung wahrhaftig zu lächeln beginnt. Er ist’s wohl zufrieden. (Ein Lob der Technik!)
Trotz aller Einschübe, mal humorvoll, mal ernsthaft, bei denen immer wieder sowohl die Namen Heinrich als auch Ulrike fallen, kommt die Handlung letztendlich auf den mythischen Stoff zurück, den schon Kleist mit neuem, vertieften Geist zu füllen wusste. Vor „die Wahl“ gestellt, entscheidet Alkmene: „So bleibe meine Ehrfurcht ihm, und meine Liebe dir, Amphitryon.“ Ein Triumpf der Liebe und wahren Identität.
Die Belohnung, die Ankündigung der Geburt des Göttersohnes Herkules durch Alkmene sowie den Aufstieg Jupiters in den Olymp lassen die Düsseldorfer aus, dafür gibt es auf der Seitenbühne ein kleines Nachspiel mit Musik und Gesang und der Lesung von Briefen der Braut Wilhelmine und der Halbschwester Ulrike an Heinrich von Kleist.
Der von Michalek unternommene Versuch, die Doppelungen und Verwechslungen des Stück zu entwirren - dazu helfen die von ihr eingeführten Figuren und Texte zweifellos nicht. Sie schaffen Bilder aus dem Jetzt, deren Bezug zum klassischen Stoff weithin unklar bleibt. Es ist die bravouröse schauspielerische Leistung, die den Abend zum Vergnügen macht.