Lebensgeschichte eines Träumers und Phantasten, aber auch eines Egoisten und Versagers
Henrik Ibsen schuf mit Peer Gynt, seinem 1867 in Italien entstandenen „dramatischen Gedicht“, eine überaus fantasievolle Geschichte eines größenwahnsinnigen Phantasten, der sich seine eigene Welt erschaffen will. Ibsen lässt seinen Helden die reiche Bauerstochter Ingrid entführen, die er dann sitzen lässt, findet er doch das Mädchen Solveig schöner. Peer besteht so manches Abenteuer in vielen Ländern, ist Kapitalist, Geschäftsmann und Sklavenhändler. Und schließlich kehrt er an seinen Ausgangsort zurück, wo sich der „Knopfgießer“ Peer in den Weg stellt und ihm sein irdisches Ende verkündet. Ibsens Werk ist also sehr komplex und man braucht den „roten Faden“, um der Geschichte mit den zahlreichen Episoden und Figuren folgen zu können.
Bernadette Sonnenbichler hat den Text in der Fassung von Peter Stein und Botho Strauß genommen und die Szenen bunt durcheinandergewirbelt. Was es dem Zuschauer schwer macht, Lebensstationen und Fantasien des Protagonisten zu verfolgen und im Zusammenhang zu verstehen. Zudem Sonnenbichler ihn durch sieben Schauspieler verschiedenen Alters verkörpern lässt. Was an sich die verschiedenen Lebensphasen des Protagonisten anschaulich verkörpern könnte. Aber da alle Darsteller, mit Ausnahme Heiko Raulins – er ist der zentrale Peer -, mehrere Rollen spielen, auch die der Frauen (warum eigentlich?), könnte es dem Zuschauer, der das Stück nicht gut kennt, Verstehensprobleme bereiten.
Der Abend beginnt mit dem sterbenskranken Peer, der vor einem Krankenbett steht. Darüber hängt die Röntgenaufnahme eines Thorax. Die Geschichte wird also „von hinten aufgezäumt“. Der später als Knopfgießer auftretende Kilian Ponert (hervorragend!) tritt ans Krankenbett und erbittet Peers Leiche für wissenschaftliche Studien. Dann folgen durchaus zum Teil eindrucksvolle Bilder auf der großen Drehbühne, auf der nur ein Stahlgerüst steht. Mit wenigen Requisiten (ein Häuserskelett wird zum Beispiel herabgelassen) werden anschauliche Bilder geschaffen. Hier das Heim der Mutter Aase. Tobias Vethake und Karla Wenzel stehen auf diesem Gerüst und begleiten den Abend mit verschiedenen Instrumenten äußerst feinfühlig und passend. Heiko Raulin, der sich bei der öffentlichen Probe eine Fußverletzung zuzog, spielt Peer sehr körperbetont und engagiert. Besonders beeindruckend jedoch Rolf Mautz als Trollkönig, der die Metapher von der Zwiebel darstellt. Peer muss feststellen, dass sein Lebenszyklus nichts mehr ist als die Schalen einer Zwiebel ohne Kern. Bewegend, wie Mautz am Bühnenrand sitzt und sich nach und nach entkleidet und am Ende doch nur das Nichts findet.
Das Ensemble (zu nennen wären noch: Raphael Gehrmann, Moritz Klaus, Mila Moinzadeh, Jürgen Sarkiss) ist durchweg zu loben.
Die Inszenierung steht unter dem Motto „klimafreundliche Produktion“. Wofür es eine Förderung des Fonds Zero der Kulturstiftung des Bundes gab. Zuschauer wurden vorab aufgefordert, mit dem ÖPNV anzureisen. Im Bühnenbild wurden recycelte Materialien aus anderen Produktionen verwendet, ebenso bei den Kostümen. Ein digitales Programmheft ergänzt die umweltfreundlichen Maßnahmen. Im Widerspruch dazu steht, dass eine relativ dicke Broschüre „Theater klimaneutral, Projektdokumentation zu „Peer Gynt“ großzügig und kostenfrei verteilt wurde.
Insgesamt ein Abend mit einem spielfreudigen Ensemble und so manchem starken Bild. Die Geschichte des Peer Gynt, wie Ibsen sie erzählt, wird jedoch nur zum Teil verständlich wiedergegeben.