Wie man der Geschichte ein Schnippchen schlägt
Marie-Antoinette tut sehr vornehm, ist in Wirklichkeit aber bauernschlau mit Wiener Schmäh - ihre habsburgische Herkunft schlägt immer wieder erbarmungslos durch. Ihr Gatte, Louis XVI., ist da distinguierter, erweist aber mehr handwerkliches Schick, als er es beim Regieren je getan hat. Beide sitzen gefangen im Pariser Stadtschloss, umzingelt vom tobenden, revolutionären Mob und warten auf ihre Hinrichtung. Dabei wahren sie die Contenance und leben, als ob nichts geschehen sei. In Wirklichkeit sind sie aber sehr geerdet und arbeiten auf eine Flucht hin. Eingesperrt mit einem Dienerpaar passieren dann ein paar „Missgeschicke“: Madame Dubarry wird beim Spiel mit einer Guillotine versehentlich enthauptet und später vergiftet sich Robespierre an einem „überlagerten“ Kuchen. Wohin mit den Leichen? In einen Schrank natürlich. Es entfaltet sich ein Versteckspiel mit Hindernissen, bei dem Tote die Rollen sonst gern verborgener Liebhaber einnehmen.
Das ist eigentlich ein interessantes Setting, das Peter Jordan und Leonhard Koppelmann für ihre Komödie Marie-Antoinette oder Kuchen für Alle! wählen. Die Autoren entscheiden sich für Späße in quietschbunter Kulisse. Eine Pointe jagt die andere. Das Stück ist gespickt mit aktuellen Anspielungen und für die Inszenierung in Münster wird vielfältig Lokalkolorit in den Abend gewoben. Das ist handwerklich alles sehr routiniert aufbereitet.
Ebenso routiniert und gekonnt entfaltet René Heinersdorff seine Personenführung. Da sitzt jede Bewegung, jede Geste absolut perfekt. Absolute Hingucker sind Olga Lagedas Kostüme: Farbenprächtig überzeichnen sie zeitgemäße Kleidung. Selbst ein Schönheitspflästerchen bei der Königin fehlt nicht. Bühne und Kostüme sind ein Pfund, mit dem diese Inszenierung wuchert. Das gilt auch für die Musik, mit der Stephanie Rave das Geschehen auflockert. Sie präsentiert Schlager der Klassik und auch klassische Schlager. Unterstützt wird sie dabei vom gesangssicheren Ensemble.
Das ist auch wieder eine Bank. Ivana Langmajer als Königin, deren österreichischer Slang immer wieder für Heiterkeit sorgt. Jürgen Lorenzen ist ihr Gatte, der seine Distinguiertheit nur vortäuscht, es in Wahrheit aber faustdick hinter den Ohren hat. Rosana Cleve glänzt sowohl als resolute Zofe als auch als kindlicher Napoleon, der den Weg in die Zukunft weist. Schwerstarbeit leistet in punkto Kostüm- und Rollenwechsel Florian Bender, dem es gelingt, allen dargestellten Figuren individuelle Züge zu verleihen. Glänzend sein Robespierre, der längst genug hat von den revolutionären Massen und dessen Französisch nur aus aneinander gereihten Vokabeln besteht - so wie es einst Otto Waalkes und Hape Kerkeling taten. Alle Protagonisten werfen sich die vokalen Bälle geschickt zu und sorgen für Munterkeit.
Wie sie - geschichtsklitternd - ihrem Gefängnis entkommen, soll hier nicht gespoilert werden. Man kann die Pointen sicher goutieren, aber ein wenig mehr überdrehter Drive hätte gut getan. Ganz gewiss taugt der Abend aber als Hors d‘Oeuvre für einen Abend mit französischen Spezialitäten. Vielleicht sollte aber besser auf Kuchen als Dessert verzichtet werden.