Vom Steckenbleiben des Lachens im Halse
Der Titel der neuesten Produktion Konrad Kästners im Theater am Alten Markt in Bielefeld klingt wie eine Aufforderung: Bitte serviert mir eine Apokalypse. Bitte sehr. Bitte gleich. Beim Einlass zeigt ein Video den Blick durch das offene Portal in den Petersdom ruhige Zooms und Schwenks auf den Papst, der doch gerade noch um Frieden in der Ukraine gebetet hat. Und dazu erklingt das Lacrimosa aus Mozarts Requiem.
Apropos Ukraine - einmal mehr zeigt sich, wie weit es die Menschheit seit Dürers Apokalyptischen Reitern oder Andreas Gryphius‘ „Tränen des Vaterlandes“ gebracht hat, von Dresden oder Hiroshima und Nagasaki ganz zu schweigen. Doch seit Corona hat sich ohnehin der Maßstab verschoben. Was in dieser Zeit los war, wird reichhaltig bebildert. Sämtliche verkleideten Wände samt Bühne dienen als Projektionsfläche von Ausschnitten aus den seinerzeitigen Fernsehnachrichten zum Thema. Und bringt schlagartig wieder ins Bewusstsein, wie das damals war mit Abstandsregel, Maskentragepflicht, Impfpflicht, fehlendem Toilettenpapier und und und. Aber das war allenfalls ein Vorgeschmack auf eine Mini-Apokalypse, oder?
Man kann sich ja gar nicht so recht vorstellen, was eine Apokalypse ist, wie sie aussieht oder was da so passiert. Was aber zu besichtigen ist: Wie man dem Unvorstellbaren ausweichen kann. Als da wäre die Schweizer Firma Oppidum, lateinisch für Befestigung, Verschanzung, laut PONS auch kleinere Stadt. Oppidum bietet mit dem Modell Linear ab 7 500 000 € einen Bunker mit 290 m2 Wohnfläche in sechs Meter Fundamenttiefe. Drei Bäder und zwei Schlafzimmer sind auch dabei. Nach oben, also in der Preisspirale, sind da keine Grenzen gesetzt. Aber natürlich mit allen Zutaten, die es braucht, sechs Meter unter der Erde bis zu dreißig Tage einen ABC-Angriff zu überleben. Und dann? Das mag skurril klingen, aber man denke an den ehemaligen Bunker der Bundesregierung in der Eifel. Kann man sich den Kettenraucher Helmut Schmidt in so einer Einrichtung vorstellen? Ach so, das ist eine Vision, mit der man zum Arzt gehen sollte.
Geht’s auch ‘ne Nummer kleiner? Na klar. Als da wäre die Prepperin. Also die, die vorbereitet sein will und für den Fall der Fälle Vorräte zu Hause stapelt. Das Bundesamt für Zivilschutz bietet dafür eine Informationsschrift an. Laut dieser Empfehlung sind z.B. für jeden Erwachsenen für zehn Tage 20 Liter Wasser zu lagern. Natürlich entsprechende Mengen Reis, Nudeln, Kartoffeln und andere Nahrungsmittel. Für eine vierköpfige Familie kommt da schon ein stattliches Warenlager zusammen. Im Modell Linear sechs Meter unter der Erde ist da Platz genug, aber in einer normalen 3-bis-4-Zimmer-Wohnung? Aber Carmen Priego, die diese Prepperin gibt, lässt sich vom zynischen Einzelkämpfer Georg Böhm ihren Optimismus bezüglich Solidarität in der Krise nicht nehmen. Das wird gelegentlich zu Recht lautstark verhandelt, aber leider überschreit der Mann die Frau. Mag zwar die Realität sein außerhalb des Theaters, ist aber schlecht für’s Zuhören, wenn man Carmen Priego nur noch reden sieht. Der Einzelkämpfer sitzt draußen im kalten, feuchten Wald und lässt sich von einem Trainer einweisen ins Überleben in der Wildnis: Feuer entfachen mit feuchtem Holz, Früchte der Natur ernten, ein trockenes Lager einrichten, kleine Verletzungen selber behandeln.
Die Dritte im Bunde ist Amy Lombardi. Sie steht für die junge Generation wie Fridays for Future oder die Letzte Generation. Sie führt sehr exemplarisch vor, wie die Gesellschaft diese Ansätze auflaufen lässt. Also ist es auch die junge, verzweifelte Generation, die zum letzten Mittel greift: Und als Amy Lombardi dann den berühmten roten Knopf drückt, laufen mit viel Lärm Sequenzen von Untergangszenarien ab, immer wieder entfalten sich Atompilze, von ihr immer wieder kommentiert mit den Worten „Game over“. Doch es geht hier nicht um Spiel, sondern um die Realität.
Regisseur dieser in Ansätzen als Inszenierung zu erkennenden Veranstaltung ist der renommierte Videofilmer Konrad Kästner. Die Inszenierung ist proppevoll mit Videos, die zwar viel erklären und Vieles klarstellen. Aber der Abend erhält so etwas von einer Infoveranstaltung der VHS Bielefeld. Bezeichnend dafür ist das Interview mit dem Bielefelder Feuerwehrmann Gordon Majewski. Sehr klar stellt er dar, was die Feuerwehr im Katastrophenfall zu tun hat. Das klingt alles sehr glaubhaft. Bloß die Frage, wie denn die Feuerwahr der Panik Herr werden will im Extremfall, entlarvt den allenfalls guten Willen der zur Hilfe verpflichteten Frauen und Männer. Es ist ja auch die Frage, ob und wie das alles funktionieren soll oder kann, wenn z. B. das Stromnetz lahmgelegt ist. Der Einzelkämpfer Georg Böhm entfaltet dieses Horrorszenario, in dem nur noch mechanische Vorgänge am besten bei Tageslicht funktionieren.
Das Publikum dankte mit schier nicht enden wollendem Beifall. Ein Gradmesse dafür, dass diese Arbeit einen Nerv getroffen hat.