Übrigens …

Was ihr wollt im Bielefeld, Stadttheater

Wenn der Herzog und die Gräfin nicht zusammenkommen

Uff! Da geht man fleißig ins Theater, hat sich beinahe schon an die fernsehüblichen 90 Minuten gewöhnt, und dann dieses: fast drei Stunden Theater. Shakespeare. Ist ja klar, da dauert der Abend schon mal länger. Und man wird auch nicht mit der meist klaren, gradlinigen Sprache des Gegenwartstheaters behelligt. Nein, die Wendungen und Spiralen shakespearescher Sätze verlangen nach erhöhter Aufmerksamkeit. Zur Sicherheit liest man am besten vorher nicht nur, um was es geht. Den Klang dieser Sprache - egal jetzt welcher neuzeitliche Übersetzer zu Rate gezogen wird, in diesem Fall Erich Fried - sich vorher zu verdeutlichen, hilft. Auch wenn das Gesagte dann doch nicht immer so deutlich rüberkommt. Kam vor. Also: Twelfth Night: die letzte der Raunächte, gelegentlich auch als Beginn des Karnevals verstanden. Oder: Was ihr wollt.

Viola strandet an Illyriens Küste. Das Schiff, auf dem auch ihr Zwillingsbruder Sebastian mitfuhr, ist zerschellt; vom Bruder keine Spur. Sie hält ihn für ertrunken. Das beruht auf Gegenseitigkeit, wie sich später herausstellt. Vom Herrscher der Insel Illyrien, Orsino, hat sie schon gehört. Sie will, als Mann verkleidet, in seine Dienste treten. Der ist nun aber waahnsinnig in Olivia verliebt, die aber ihrerseits von ihm schon gar nichts wissen will. Sie hat nämlich geschworen, sieben Jahre um ihren Bruder zu trauern und will demzufolge von Männern nichts wissen. Wie waahnsinnig Orsino verliebt ist, verrät er gleich zu Anfang des Abends. Mit den Worten „Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist,/Spielt weiter! Mehr und mehr! Dass übersättigt/Mein Appetit erkranke und dran sterbe/...“ deutet er an, wie maßlos er sich nach ihr verzehrt. Die Maßlosigkeit äußert sich dann in mehrmals wiederholten und immer lauter werdenden Rufen nach „Olivia“, endend in nahezu unerträglicher Lautstärke. Donnerwetter, was für ein Organ. Ein Blick ins Programmheft, wer mit so einem Organ ausgestattet ist?: Christina Huckle. Bitte, wer? Eine Frau gibt den Herzog? Ja. Regisseur Dariusch Yazdkhasti hat beschlossen, dem Rollentausch, der im elisabethanischen Theater Gang und Gäbe war, noch eins draufzusetzen. Es spielen also nicht - wie damals Standard - Männer auch die im Drama vorkommenden Frauenrollen und verlieben sich dann ineinander, sondern hier spielen Frauen Männerrollen und verlieben sich eventuell ineinander. Wobei das in der Beziehung Olivia zu Cesario/Viola insofern pikant ist, als sie, ihrer Trauer nicht so recht eingedenk, wankelmütig wird. Das führt so oder so im Falle gewollt-ungewollter engerer Begegnungen zu komischen Situationen.

Nachdem Orsinos Klagegesang doch verstummte, ging es freilich gleich weiter mit lautstarken Äußerungen. Viola (Gesa Schermuly) japst nach Luft, gerade ist sie an Land gebracht, gerettet worden. Dann kann’s endlich losgehen. Viola verpflichtet ihren Retter, den Kapitän, zum Schweigen, sie will Orsino als Eunuch dienen. Er akzeptiert Viola, die sich als Cesario vorstellt, und schickt sie gleich als Boten zu Olivia (Carmen Witt). Die versucht, ihre Trauer mit action-painting zu bewältigen. Ihr Hausdiener Malvolio (Thomas Wolff) steht mit Rotwein unge- und -berührt und schaut zu. Diskretion Ehrensache. Etwas abseits sitzt Marie (Stefan Imholz) und wartet auf die Essenswünsche, die sie dann zubereiten wird.

Da gibt es auf der Herrschaftsebene ein Hin und Her. Auf der Ebene drunter wird das herzhaft kommentiert. Auf dieser Ebene agieren munter und keineswegs bescheiden Sir Tobias Rülps (Oliver Baierl), Sir Andrew Bleichenwang (Simon Heinle) und der Narr (Janis Kuhnt). Quasi in der Zwischenebene agieren Marie und Malvolio. Marie kocht nicht nur für ihre Herrschaft sondern auch ein sehr eigenes Süppchen. Malvolio muss die von Marie und Sir Tobi angerührte bittere Suppe auslöffeln. Dann sind da noch Violas Bruder Sebastian (Ronja Oehler), der doch überlebt hat, und sein Freund Antonio (Brit Dehler). Das Bühnenbild von Julia Hattstein bedient die verschiedenen Ebenen des Dramas perfekt. Eine schräggestellte recht große Scheibe, zu etwa dreiviertel umrahmt von einer Wand, in deren Mitte sich eine große Öffnung befindet, dient der Herrschaftsebene. Cesarios Botengänge mit Start und Ziel beginnen und enden hier. Hinter der torartigen Öffnung am oberen Ende der Scheibe findet das Getümmel des Narren und seiner Freunde statt. Dort dient eine große, sehr große Matratze zum herumkugeln, rumalbern, Pläne schmieden. Vor allem Sir Andrew ragt heraus mit artistischen Einlagen und einer Reihe von sehenswert-hässlichen Jogginganzügen. Großes Lob für die Kostümbildnerin Julia Hattstein. Sir Tobi wiederum zeigt sich als konditionsstarker Trinker mit Ausfällen. Und der Narr tut, was ein Narr tun muss: Er ist der einzig Vernünftige in dieser Runde... Marie ist hier die Intrigantin. Sie hegt einen Groll gegen Malvolio, hält ihn für arrogant. Also wird er mit einem Brief in einen Hinterhalt gelockt. Genüsslich malen sich Marie, Sir Tobi, Sir Andreas und der Narr aus, wie sehr sich Malvolio geschmeichelt fühlen wird, wenn er liest, dass seine Herrin ihn begehrt. Denn davon träumt er. Und tatsächlich, Malvolios Brieflektüre ist der Höhepunkt des Abends. Das ist hohe Sprechkunst, sorgfältig gegliederte Sentenzen, sauber artikuliert ohne dabei den großen Bogen zu versäumen. Szenenapplaus. Zu recht. Den tiefen Fall ahnte das Publikum schon, und auch der war wieder einen Szenenapplaus wert. Statt der im elisabethanischen Theater üblichen gelben, gekreuzten Strumpfbänder bekommt Malvolio ein überdimensioniertes Hasenkostüm verpasst. Die darauf folgende Folter im Verließ bricht ihn freilich. Beim großen Finale, sprich Happy End geht er leer aus. Seinen letzten Satz „Ich räch mich noch an eurem ganzen Pack“ darf er nicht sagen, aber sein letzter Auftritt mit einer MP in der Hand spricht Bände. Vorhang.

Das Publikum war begeistert, schenkte gern und reichlich verdienten Beifall. Und die fast drei Stunden waren gar nicht so lang...