Übrigens …

Die Legende von Paul und Paula im Bonn, Theater

Auch als Schauspiel kultverdächtig

Lass dich mit deinen Tränen nicht von der Sonne erwischen!" Es ist Paula, die das Lied der in der DDR gegründeten Band Keimzeit singt. Keine Sorge: Wenn am nächsten Morgen die Sonne aufgeht, sind unsere Tränen getrocknet. Dann sind wir nur noch selig ob des am Vortag erlebten Theaterabends. Gestern haben wir viel geweint.

Die Legende von Paul und Paula war der einzige DEFA-Film, der sowohl in der DDR als auch im Westen Kultstatus erlangte. Für die DDR-Band Puhdys bedeutete er den Durchbruch. Anders als die meisten Staatskunstwerke war der Film in der Lebensrealität der jungen Generation verankert. Er adressierte deren Ängste und Sorgen und zeigte sympathische junge Menschen, die ein Leben in Selbstbestimmung führen wollten und aus dem Spießertum der Elterngeneration ausbrachen. Der Staatsführung der DDR war der Film nicht angepasst genug. Sie hätte ihn gerne verboten, doch der Erfolg, den er bereits bei der Vorpremiere erzielte, ließ Erich Honecker von diesem Vorhaben Abstand nehmen. Aus heutiger Sicht erscheinen die Gründe für das geplante Verbot kaum nachvollziehbar. Denn eigentlich erzählt der Film nur eine einfache Liebesgeschichte, ohne allerdings die nach wie vor gesellschaftlichen Ungleichgewichte und die Schwierigkeiten des Alltags im sozialistischen Musterstaat auszusparen.

Das alles ist Historie. Roland Riebeling inszeniert die Geschichte am Theater Bonn 50 Jahre später gesamtdeutsch: mit VW Polo statt Trabbi, mit Liedern von Gundermann, Silly und den Puhdys einerseits sowie Rio Reiser, Hubert Kah und Münchner Freiheit andererseits. Er hat die Geschichte noch weiter vereinfacht, in zumindest einer Hinsicht aber auch zugespitzt. Paula ist alleinerziehende Mutter zweier Kinder von zwei verschiedenen Männern und auf der Suche nach flüchtigem Glück, nach ein wenig Ablenkung. Auf dem Rummelplatz begegnet sie – nein, nicht Paul, sondern Colly, dem gutaussehenden Musiker und Angestellten eines Fahrgeschäfts. Paul trifft gleichzeitig auf Ines, bei Plenzdorf ein hübsches, aber nicht allzu intelligentes Kirmes-Mädchen, bei Riebeling eine Medizinstudentin. Die Frage „Kennst du den Faust?“ müsste Ines klar verneinen; Pauls poetische Ader teilt sie nicht, aber stramm verfolgt sie ihre Karriere als angehende Ärztin. Paula wird schwanger von Colly, Ines heiratet Paul und warnt Paula nach der Risiko-Geburt ihres zweiten Kindes, dass eine weitere Entbindung für Paula tödliche Folgen hätte. Nun, von Colly wird sie kein weiteres Kind kriegen, denn der liegt bei ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus mit ‘ner anderen im Bett. Auch Paul wird nicht glücklich in seiner Ehe. Paul und Paula finden zueinander: „Keiner ist, was der andere sucht“, schrieb Autor Ulrich Plenzdorf nach Erscheinen des Films und des ein Jahr später folgenden Buchs, doch die beiden finden nach einigem Hin und Her das große Glück. Dann wird Paula erneut schwanger…

Auch auf der Theaterbühne ist Ulrich Plenzdorfs Stoff kultverdächtig. Unter dem Lichterzelt des Rummelplatzes, das auch den Supermarkt sowie die Behausung von Paula und ihren Kindern und den Kiosk des alten Herrn Saft, mit dem die ermattete und überarbeitete Paula vor dem Treffen mit Paul sogar eine Versorgungs-Ehe einzugehen bereit war, überspannt erzählt Riebeling die Geschichte in Kürzest-Szenen und in ganz einfachen Worten – so etwas nennt man wohl niederschwellig. Mit der großartigen Livemusik der Band von Philip Breidenbach und den 15 west- und ostdeutschen Songs, die die Aufführung dominieren, mutiert der Schauspiel-Abend sogar beinahe zum Musical. Riebeling konzentriert sich ausschließlich auf die ergreifende Liebesgeschichte; Angst vor Kitsch hat die Aufführung dabei nicht. Stattdessen wagt sie sich mit ganz einfachen Worten an die ganz großen Gefühle (in der Mitte der zweistündigen Aufführung wird der Text vorübergehend allzu dünn, was das Ensemble aber gekonnt überspielt). Politkritik, wie sie die ostdeutsche Staatsführung 1973 in dem zugrundeliegenden Film witterte, findet sich allenfalls in Liedern wie Gundermanns „Hier bin ich geboren“: „Hier ist es heute nicht besser als gestern / und ein Morgen gibt es hier nicht…“

Paula glaubt unerschütterlich an ein Morgen. Keiner ist, was der andere sucht? Der verheiratete Paul zögert, aber Paula weiß: „Du kommst. Und wie Du kommst! Ich bin ja da!“ Pauls und Paulas Liebe ist von einer geradezu überirdischen Innigkeit. Julia Kathinka Philippi traut sich, ihrer Paula diese Innigkeit ungefiltert und ohne ironische Distanz mitzugeben. „Schön, stolz, selbstbewusst und anziehend" sei sie, beschreibt Colly voller Bewunderung. Recht hat er. Aber sie ist auch ein wenig naiv – was Philippi umstandslos in eine Stärke verwandelt. Grandios spielt sie Paulas Liebes- und Lebenshunger, verkörpert sie ihren (fast) grenzenlosen Optimismus. Doch es ist nicht der Optimismus, der Paula am Ende in den Tod treibt - es ist die Unbedingtheit ihrer Liebe.

Hat der Rezensent in seinem letzten Text über die Unterhaltungssucht im Theater gespottet? Die Bonner Legende von Paul und Paula ist reine Unterhaltung. Und zum Heulen schön! Vergessen Sie bloß Ihre Taschentücher nicht!