Übrigens …

En Woke im Bielefeld, Stadttheater

Die Fluiden im Kellergeschoss der modernen Arbeitsgesellschaft – abgehängt

Pardon, dürfte ich Sie mal was fragen? - Wenn’s unbedingt sein muss. - Nämlich, ich mache gerade eine Meinungsumfrage, und Sie waren doch auch grad eben im Theater. - Mein Gott, Sie Döspaddel, wir haben nebeneinander gesessen. Haben Sie das nicht mitbekommen? - Äh, ja, doch. - Also fragen Sie schon, ich hab ja nicht ewig Zeit. - Ja. Pardon. Also, was ich wissen wollte... - Da regt mich ja schon die Frage auf! - Ja, äh, wie fanden Sie den Theaterabend? - Was soll man denn darauf schon antworten? Ach ich fand’s ganz in Ordnung. - Fiel ihnen etwas besonders auf? - Also mir hat ja imponiert, wie die Akteure mit den aktuellen Themen umgegangen sind. Also dieser junge Mann, in diesem ganz schrecklich-schönen Kostüm, wie der da aufsprang und sich als Sarah Wagenknecht outete. Sah echt ein bisschen lächerlich aus. aber wie er dann diese Figur auseinandernahm - grandios. - Wussten Sie, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler die Texte während der Probenphase zusammen mit dem Autor selber entwickelt haben? - Nein. Donnerwetter. Das ist ja interessant. Wie muss ich das verstehen? - Na ja. Der Autor hatte die Vision, dass sein Text unmittelbar mit aktuellen Bezügen auf die Bühne kommen sollte. Sonst, hat er gesagt, dauert das ja mindestens ein Jahr von der Ideenvorstellung beim Verlag bis zur Premiere. Und dann ist die Aktualität vielleicht gar nicht mehr gegeben. Und dann hat er mehrere Theater mit dieser Idee behelligt, die habe alle abgewunken. Wir brauchen den Text vorher, Besetzungsprobleme, Werkstatttermine - und was sonst noch so der Ausreden sind. Lediglich Bielefeld gab den Zuschlag. Na ja, die haben ja auch schon öfter mit ihm zusammengearbeitet und ganz gute Erfahrungen gemacht. - Klingt interessant. Und? - Na ja, dann haben die Akteure und der Autor sich zusammengesetzt und Situationen entwickelt, Texte geschrieben, verworfen, neu geschrieben, geprobt, Kostüme und Lichteinstellungen entwickelt, also eigentlich war das Ensemble sowohl Autor als auch Regisseur und Beleuchter und Kostümbildner. - Ach was. Das Theater hat die einfach machen lassen? - Genau. Jetzt mal im Ernst: So was funktioniert? - Haben Sie doch gesehen! - Na gut. Gelegentlich kam es ja nicht über Stammtischniveau hinaus. Aber das muss man schon sagen: das waren absolut kabarettreife Leistungen. Ordentlicher Witz, ordentlich rübergebracht. Die Pointen saßen und wurden richtig gebracht. Aber sagen Sie mal, was hat das denn mit dem Titel auf sich? En woke?? - Ja, das ist ein bisschen verquer. Da steckt einmal woke drin, also diese absolut kritische Haltung so ziemlich gegen alles, was entweder politisch nicht korrekt ist oder gegen Diskriminierung oder überhaupt oder so... - Aha, junger Mann, das geht aber eindeutiger. Aber gut, Sie haben ja Willen bewiesen zur Definition. Und was noch? Sie wollen mir doch nicht weismachen, da steckt nicht noch mehr drin. - Aber natürlich. Es steckt noch der französische Ausdruck en vogue drin, also die Bezeichnung für etwas, was nicht nur aktuell ist, sondern auch irgendwie hübsch oder schön oder... - Hören Sie auf, so’n Schmarrn erträgt man doch nicht. - Sehen Sie, das ist doch das Problem. Das bringen die in dem Stück auch auf den Punkt: Diese unentschiedene Entscheidungsfreudigkeit. Und danach der shitstorm gegen dies und jenes, oft aber auch nur auf Grund von Gerüchten. - Also der Versuch, dieses ganze verquere Gemisch an Meinungen und Haltungen zu meistens auch sehr überflüssigen Phänomenen? Das meinen Sie? - Genau. Haltung ohne Rückgrat. Nehmen sie z.B. die Szene mit Taylor Swift. - Hä? - Na, dieser amerikanische Superstar, Pop-Idol und Freundin von diesem amerikanischen Footballstar. - Ach die mit dieser superblonden Perücke? War doch ne dolle Szene. Wie man der eingeredet hat, sie könne die nächste Wahl in den USA entscheiden, das hat ja wohl Eindruck bei ihr hinterlassen. Aber im Ernst, was soll die Arme denn machen? - Gute Frage. Echt. Gibt sie eine Empfehlung, geht’s ihr an den Kragen, oder? - Könnte sein. Den Shitstorm möchte man nicht erleben. Aber sagen Sie mal, was war das denn für ein komischer Raum, in dem die Akteure da spielten? - Tja, das hatte was von Untergeschoss, die Ebene, auf der die niedrigsten Arbeiten erledigt werden. Es war ja öfter mal von Laufzetteln die Rede, auf die die da unten warteten. Das erinnerte mich an ein Theaterstück aus meiner Studienzeit: Frankenstein, Aus dem Leben der Angestellten. Der Autor Wolfgang Deichsel hat Szenen aus dem täglichen Irrsinn versammelt: Geschichten von Angestellten, die durchdrehen, und Abgestellten, denen ein Licht aufgeht. Das sieht heute halt nicht viel anders aus. Und das haben der Autor David Gieselmann und die Akteure Doreen Nixdorf, Nicole Lippold, Rosalia Warnke und Faris Yüšbio?lu, die alle in unterschiedlichen Anteilen an Ausstattung, Kostüm und Licht mit gearbeitet haben, sehr gut dargestellt.

 

(Das überwiegend jugendliche Publikum spendete großen Beifall.)