Wo eine Quelle, da ist Leben
„Felicità“, schallt es fröhlich durch das Parkett im Schauspiel Dortmund. Rund um den dampfenden Pool, den Lan Anh Pham auf die Bühne gezaubert hat, schwingt das Ensemble die Handtücher im Rhythmus des schmissigen Hits von Al Bano und Romina Power. "Mein Name ist Tilla", stellt sich Nika Miskovic vor, "ich mache Ihnen jetzt erstmal einen Mango-Minze-Aufguss." - Eine Kleinstadt bietet den großen Metropolen Paroli durch ihr berühmtes Spa. Bald kommt der Reisebus mit den Gästen aus Hattingen.
Das ist ein schwungvoller Gute-Laune-Beginn der Ibsen-Überschreibung von Julienne De Muirier. Das Publikum lächelt selig. Wie sich das gehört, liegt das Heilbad gleich an der Quelle – „und wo eine Quelle, da ist Leben“, stellt Miskovic wiederholt fest. Aber Ibsen-Kenner wissen längst: Ein gutes Leben haben hier vor allem die Bakterien. Das Wasser dieses Heilbads ist kontaminiert und für die Kurgäste gesundheitsschädlich. „Das ganze Bad ist eine Pesthöhle“, macht Sarah Quarshie unmissverständlich klar. But the show must go on: Wenn der Betrieb eingestellt wird oder auch nur längere Zeit ruht, fehlt dem Ort die wichtigste Einnahmequelle.
So weit, so Ibsen. Mehr Ibsen gibt es nicht in der Dortmunder Inszenierung: keinen Bürgermeister, der mit aller Macht die Offenlegung des Skandals verschweigen will, keinen Badearzt, für den die Gesundheit der Badegäste im Vordergrund steht, keinen Zeitungsredakteur, der seinen Idealismus später dem politischen Druck opfert, keinen opportunistischen Buchdrucker und Hausbesitzervertreter, der wie ein Fähnchen im Wind sich schließlich auf die Seite seiner Kunden stellt (die die pekuniären Konsequenzen eines Skandals fürchten), keinen Unternehmer, dessen Industrieabwässer die Ursache für die Kontamination des Wassers darstellen – und entsprechend auch keine Bürgerversammlung, in dem der aufrechte Badearzt dem Volk zum Fraß vorgesetzt wird. Auch ob die fünf Ensemble-Mitglieder, die anfangs so enthusiastisch ihre Handtücher schwingen, Badearzt, Heilbad-Chef, Therapeuten oder Trainer bei der Aqua-Gymnastik sind, bleibt ungeklärt, was in Juliette De Muiriers Textfassung aber auch ziemlich gleichgültig ist, weil ihnen ja ohnehin die Gegenspieler fehlen.
Die müssen sie selbst mitspielen: Argumente und Gegenargumente für eine Schließung und gegebenenfalls Sanierung des Heilbads, wie sie bei Ibsen temperamentvoll ausgetauscht und in der Versammlung, die den Kulminationspunkt jeder klassischen Ibsen-Inszenierung bildet, diskutiert werden, finden sich allenfalls in Ansätzen in den munteren Gesprächen zwischen den fünf Bühnen-Figuren wieder. Immerhin streifen diese Ibsens berühmtes und umstrittenes Thema der Bedeutung von Mehrheiten, von manipulierbaren Volksmeinungen und politischen Entscheidungsprozessen: Viet Anh Alexander Tran denkt plötzlich über „die kompakte Majorität“ nach, die der „gefährlichste Feind der Wahrheit und Freiheit bei uns“ sei, und einen Moment lang denkt man: Ja, so kann es kommen, wenn sich der Trend zur Stärkung der rechtsextremen Partei bei Wahlen fortsetzt. Aber schnell ist das vergessen: Kontroversen zur moralischen Pflicht zur Verteidigung von Wahrheit und Freiheit, zum Umgang mit (und zur Zulässigkeit von) Machtmissbrauch im Zusammenhang mit politischen und ökonomischen Entscheidungen, wie sie bei Ibsen zugegebenermaßen bisweilen reichlich in papierener Form im Vordergrund stehen, finden sich in der Fassung von De Muirier allenfalls banalisiert und höchstens in homöopathischer Dosis in den Gesprächen der Bühnenfiguren, zwischen denen es keine Hierarchieverhältnisse gibt.
Ibsens Papiergeraschel wird damit natürlich vermieden: Die Aufführung ist durchaus witzig und schwungvoll. Aber der Anspruch bleibt auf der Strecke: Anstelle eines intellektuellen Diskurses gibt es in Dortmund eine wirre Stoffsammlung, eine Art Vokabelheft zum Klimawandel: Permafrost und Atomkrieg bedrohen die Welt, dem Bienensterben wird mit falschen Züchtungen entgegengearbeitet, die Verteilungsgerechtigkeit liegt im Argen, mit der Flugscham ist es auch nicht so weit her, aber der vegane Fleischsalat und das Lastenfahrrad dienen der Entlastung des eigenen Gewissens. Und Antje Prusts Figur hat ein wunderbares neues Produkt entwickelt: Wenn man das Wasser dreimal schockfrostet und anschließend mit positiven Botschaften bespricht, wird vielleicht alles gut.
Aber gegen verseuchtes Grundwasser hilft die beste Leckage-Ortung nicht; Synchron-Alpträume der Heilbad-Angestellten sind vermutlich keine Träume, sondern wahre Katastrophen. Statt des Hattinger Reisebusses dringen feuerrote putzig-zottelige Bakterien ins Heilbad ein und füttern bewegungsunfähig in bonbonfarbenen Kokons sitzende Restmenschen mit ekligem Brei. Das Wasser hält noch einen kleinen Monolog, und schlagwortartig kann man sich auf die Zukunft einigen: Der gehört der „Wandel“. Dass wir Menschen den schaffen – daran glaubt die Inszenierung nicht wirklich.
Das Stück, dessen Ibsen-Titel sich in keiner Weise erschließt, heißt im Untertitel „Katastrophenkomödie“. Es gibt ein paar nette Witze über esoterische Verirrungen, ein paar in diesem Zusammenhang weit hergeholte Referenzen an Klassismus oder die Situation von Flüchtlingen, alle reden schön durcheinander und oft aneinander vorbei – natürlich soll hier auch unsere eigene oberflächliche Handlungs- und Argumentationsweise im Umgang mit Umweltrisiken auf die Schippe genommen und kritisiert werden. Aber auch die komödiantischen Ideen bleiben auf der Ebene einer Stoffsammlung. De Muiriers Text wirkt unvollendet und bleibt, auch wenn die Brühe, die aus dem Heilbad quillt, angeblich ziemlich dickflüssig ist, ungeheuer dünn. Das Regie-Team kämpft dagegen an: Die Aufführung hat auch dank der ironisch und atmosphärisch geschickt eingesetzten U-Musik Schwung, und Hanne Lenze Lauch hat mit ihren abwechslungsreichen und phantasievollen Kostümen, die die Schauspielerinnen und Schauspieler permanent wechseln, großartige Arbeit geleistet. Allzu viel retten konnte sie nicht, aber da nach einer Stunde alles vorbei ist, hat man auch keine Zeit für Langeweile.