Übrigens …

Intervention im Theater Duisburg

Komödie ist Tragödie mit Aussicht auf Happy End

Es sei vorweggenommen: ein brillanter Theaterabend, allerbeste Komödiant*innenkunst.

Die Erwartungen waren geteilt: bei der Hamburger Premiere gab’s Buhrufe und ziemlich miese Kritiken. Im Programmheft wird noch „ Aufführungsdauer drei Stunden, eine Pause“ annonciert; auf dem Duisburger Handzettel sind es nur noch „zwei Stunden 10 Minuten“. Tatsächlich kürzten die Autoren Sven Regener und Leander Haußmann (der auch für Bühne und Regie verantwortlich zeichnet) das Stück um fünfzig Minuten. Denn Haußmann beschreibt das Anliegen seiner Theaterarbeit im Interview (NDR Kultur am 3. 3. 2023) „als sehbare Interaktion mit dem Zuschauer. Wenn sie lachen, ist das eine Reaktion, die oben auf der Bühne aufgegriffen wird. Dadurch entsteht so was wie ein Dialog“. Und dieser Dialog wurde in Duisburg erreicht: Es wurde viel gelacht, manchmal auch nur geschmunzelt im Wiedererkennen eigener Schwächen. Es gab Szenenapplaus - eher ungewöhnlich im Sprechtheater.

Worum geht es? Es ist ein Familienstück: die Patchwork-Familie Hoffmann-Wegener trifft sich zum alljährlichen gemeinsamen Grünkohlessen. In diesem Jahr aber gibt’s ein besonderes Anliegen: der „verlorene Sohn“ Jannis soll damit nach Hause gelockt werden. Wie man eher beiläufig erfährt, haben ihn alle seit Jahren nicht mehr gesehen. Intervention meint also den kollektiven Versuch, ihn in ein geordnetes Leben zurückzuholen. Allerdings wissen auch die meisten der Eingeladenen vorab nichts von diesem Plan, einem Plan, der im Einzelnen - wie so vieles in diesem Stück - bis zum Schluss unerklärt bleibt. Ausgedacht hat ihn sich Gudrun, die Schwester des Hausherren Markus, die sehr lange auf sich warten lässt. Zur Information für alle - auf der Bühne und im Saal - hängt das Wort INTERVENTION in großen Glitzerbuchstaben als Girlande quer über der Bühne, die im Vorderteil recht bieder wirkt und vielleicht an die althergebrachte Boulevard-Klamotte erinnern will: ein paar Sessel, Tischchen, Stehlampe und ein Fernseher, der vom Publikum abgewandt ständig läuft und die „Familie“ immer wieder anlockt mit irgendwelchen dubiosen Zahlenangaben, die dann laut wiederholt werden. Die trist-beige Rückwand entpuppt sich als transparente Projektionsfläche, hinter der durch Beleuchtung schemenhaft eine Küche mit Grünkohl-Topf auf dem Herd auftaucht, was alles zugleich auch noch als Großbild auf die Wand projiziert wird. Dieses Doppelt und Dreifach: vor, auf und hinter der Wand bringt immer wieder interessante Effekte und kann als Analogie zu den Irritationen des Geschehens gesehen werden.

Langsam belebt sich die Bühne: zunächst sind da zwar nur Markus (der grandiose, oft urkomische Jens Harzer, der mit seinem Smoking, Schnäuzer und Struwwelhaar in manchen Szenen an Chaplin erinnert); sein verstorbener Vater (Norbert Stöß), der mit der wiederholten Bemerkung „Mensch Meier“ und wenigen Einwürfen die Aufführung amüsiert begleitet; und der Schwager Helge (Tim Porath), der trottelige Ehemann der mit Spannung erwarteten Managerin des Abends Gudrun. Vorerst sind da aber noch die phantastischen Frauen Katja und Silvie (Gabriela Maria Schmeide und Marina Galic als Ehefrau und Ex von Markus), die mit ihrem permanenten Zickenkrieg das Geschehen mit allerbester Schauspielerinnenkunst zum wahren Vergnügen machen. Als Gudrun schließlich kommt, klärt sich nichts, es gibt Andeutungen zu alten Geheimnissen um den Sehnsuchtsort Terracina - wer böse denkt, könnte sich fragen, ob nicht Markus, sondern Silvie da eine Liebschaft mit Folgen hatte. Aber wie gesagt, alles bleibt im Ungefähren.

Schließlich sind sie mit Jannis Stiefschwester Gwendolyn und Opas Freundin Gisela zu Achten und Gudrun verlangt eine Probe der Intervention bevor der Erwartete erscheint.

Da tritt Friedemann (Steffen Siegmund) auf, ein Essensbote mit Zutaten zum Grünkohl, wie der Pinkel, der schon vorweg ein paarmal genüsslich erwähnt wurde.

Jetzt bekommt das Stück einen ganz neuen Drive: es wird turbulent, gelegentlich gar klamaukig: Friedemann, von einigen für Jannis gehalten, von Gudrun aber zumindest als Top-Besetzung für die Rolle des Jannis bei ihrer Interventions-Probe gesehen, Friedmann der Bote wird für Geld vereinnahmt und spielt mit. Dabei greifen Irritation und Verwirrung um sich: das Spiel im Spiel wird zur Bühnenwirklichkeit, es gibt Prügel für den armen Nicht-oder-Doch-Jannis und die scheinbar so brave Gwendolyn (charmant von Anna Köllner gegeben, die einspringen musste) entpuppt sich als echtes Stiefgeschwister-Biest. Friedmann/Jannis bringt eine ganz neue Interpretation der Intervention ins Gespräch, was bisher umgangssprachlich als Gruppenaktion gemeint war, wird zum psychotherapeutischen Kampfbegriff zwischen Gudrun und Friedemann, ein verbales Kräftemessen, das dem Ganzen eine vage familientherapeutische Richtung gibt.

Die Fronten wechseln und plötzlich geht es nicht mehr um Jannis, sondern um den Hausherrn selbst. Irgendwer stellt irgendwann die Behauptung auf, Markus, der Gastgeber und Grünkohlkocher sei dement, sein Verhalten wird analysiert und interpretiert, die Krankheit an sich diskutiert und es dauert eine Weile, bis Markus alles dementiert. Auch das bleibt in der Schwebe.

Worum geht’s hier überhaupt?“ fragt einer der Schauspieler, an die Bühne wie an den Saal gewandt. Schwer zu sagen: es geht um Familie, eine moderne Familie, um Verletzungen, Traumata, Eitelkeiten, Hoffnungen. Man merkt dem intelligenten Text ein wenig die Arbeitsweise der Autoren an: ein Schriftsteller und ein Theatermann, ein eingespieltes Team, treffen sich ein Jahr lang jeden Mittwoch von 10 bis 14 Uhr zur kreativen Arbeit, zum Schreiben eines Stückes. (So steht es im Programmheft.) Es entsteht das Drama eines Familientreffens: jeder bringt etwas ein, jeder hat seine Geheimnisse und Ansprüche, seine Bosheiten und Kränkungen. Was fehlt, sind die erfreulichen Dinge, zum gemeinsamen Grünkohlessen kommt es gar nicht. Es fehlt das Happy End einer echten Komödie, das Haußmann im Interview als Forderung aufstellt. So nennt er das Stück auch nicht Komödie, obwohl viel gelacht wird. „Es ist komisch, aber für eine Komödie ist es dann doch zu traurig.“ So im Programmheft.

So bleibt nur der Rat des herumgeisternden verstorbenen Großvaters: „Wir wollen uns abregen und noch mal von vorn anfangen“. Vielleicht ist das der Hoffnungsschimmer, die Aussicht auf ein Happy End beim nächsten Mal.