Eine missverstandene Familienidylle
Familienbande heißt das Motto des diesjährigen Duisburger Akzente-Theatertreffens. Dass die Bande nicht immer binden, was Familie ausmacht, erfahren wir in dem brillanten Monolog des britischen Erfolgsautors Dennis Kelly, virtuos präsentiert von der Schauspielerin Friederike Becht.
Auf fast leerer Bühne wendet sich eine namenlose Frau zwischen einem kindsgroßen rosa Teddybären und einem Kleiderständer gutgelaunt ans Publikum, erzählt, dass sie für drei Tage in Duisburg sei und aus ihrem Leben berichten wolle (Regie und Bühne: Alexander Vaasen). Nach einer frühen Phase, die sie mit „Saufen, Drogen, Ficken“ zugebracht habe, passiert es: in der Passagierschlange eines Easyjet-Flugs entsteht Gerangel, dabei trifft sie auf ihren späteren Mann „und ich muss sagen, der Kerl war mir auf Anhieb unsympathisch“. Ein derber Einstieg, den sie da humorvoll präsentiert und der sich wie ein Schatten oder zumindest ein Fragezeichen über das dann geschilderte Familienglück legt. Sie verlieben sich, heiraten, bekommen zwei Kinder, Lina und Benni. Temperamentvoll erzählt sie vom Zusammenleben, spielt, diskutiert und schimpft mit den Kindern, die unsichtbar mitspielen. Dabei baut das neunjährige Mädchen Hochhäuser, die der kleine Bruder mutwillig zerstört. Eine interessante Rollenverteilung, die nachdenklich stimmt: Die zerstörerische männliche Wut schon im Siebenjährigen angelegt? Dann, irgendwann – mitten aus der Idylle heraus – wendet sich die Mutter direkt ans Publikum, erklärt, dass sie wisse, dass die Kinder nicht wirklich hier seien – das gibt Lacher, denn jeder im Saal weiß das natürlich auch - dann kommt der Hammer: sie sind tot. Keine Erklärung. Doch der dunkle Schatten breitet sich aus. Vorläufig aber geht’s zurück ins scheinbare Familienglück: Die Protagonistin berichtet begeistert von ihrer Karriere als Unternehmerin, zu der sie sich von ihrem Mann ermutigt und unterstützt glaubte. Dialoge aus ihrem Arbeitsalltag bringt sie bravourös auf die Bühne, temperamentvoll wechselt sie zwischen ihren Welten und bemerkt erst langsam den Rückzug ihres Mannes, dem seine Firma in den Bankrott und sein Leben in die Depression abgleiten. Der liebevolle Ton wechselt ins Sarkastische, sie unterstellt ihm eifersüchtig eine Geliebte als Grund seines Rückzugs, zieht mit den Kindern aus, fordert Scheidung und Klärung der Situation in ihrem Sinne.
Nach einer kurzen Unterbrechung, während der zwei Teenager einmal vor - ein anderes Mal schattenhaft hinter - der Bühne entlanghuschen, steht eine andere Friederike Becht vor uns.
Ernst, erschüttert wendet sie sich erneut ans Publikum, warnt vor Schlimmem, das kommen wird und bietet an, den Saal zu verlassen. Alle bleiben und hören die Schilderung des grausigen Verbrechens des Vaters an seinen Kindern. Ein blutiges Gemetzel: Messerstiche, Schüsse, Kehlenschnitt, danach ein missglückter Selbstmordversuch, später ein gelungener. Eine Familie wird ausgelöscht. Unter Tränen berichtet sie präzise, herzzerreißend. Dann rafft sie sich auf, wechselt von persönlicher Wut und Trauer zur sachlichen Einordnung. „Wir haben diese Gesellschaft nicht für Männer geschaffen, sondern um ihnen Einhalt zu gebieten“, heißt es schon vorher und auch von toxischer Männlichkeit ist die Rede. Sie ruft Marie Antoinette und Margret Thatcher als Zeuginnen auf, um letztlich mit statistischen Zahlen zur brutalen Familienauslöschung ganz von sich abzulenken, alles zu versachlichen.
Das Publikum verharrt einen Moment betroffen, um dann mit Standing Ovation zu applaudieren.