Übrigens …

Achterbahn im Münster, Wolfgang-Borchert-Theater

Heftiges Auf und Ab

Elke König hat hervorragende Arbeit geleistet und die Bühne des Wolfgang-Borchert-Theaters in eine jener überaus verwechselbaren Wohnungen verwandelt, wie sie dutzendweise in den täglichen Krimis über die Mattscheibe flimmern: Weiß und ein wenig Schwarz, eine Küchenbar und ein Sofa. Individualität? Eher keine bis auf ein paar Familienfotos an einer Pinnwand und dann noch ein Gartenzwerg auf weißlackiertem Podest. Der sei japanisch, wie der Wohnungsinhaber betont. Und natürlich ist er sehr kostbar. Was passiert also in dieser Upper-Class-Herberge? Nun, eigentlich etwas ganz Banales. Ein mittelalter Mann, ein Best-Ager, gabelt in einer Bar eine junge Frau auf und nimmt sie mit nach Hause. Das ist etwas, das wir uns alle in unseren Köpfen vorstellen können. Da macht es sofort Klick, denn wir alle malen uns aus, wie der weitere Abend verlaufen wird.

Doch in Éric Assous‘ Achterbahn nimmt das Geschehen eben nicht diesen Verlauf, auch wenn der Mann sich eben jenes so gewünscht hätte. Schnell nimmt die Frau das Zepter in die Hand. Das beginnt mit harmlosen Fragen nach seiner Familie. Sie gurrt, schmeichelt seinem Ego und bekommt die Antworten aus ihm heraus. Immer schneller zieht sich die Schlinge um seinen Hals zu, denn sie wechselt die Rolle. Nun ist sie Prostituierte, geizt nicht mit ihren Reizen, macht ihn richtig an. Er will nicht zahlen, weil er das nicht nötig habe. Doch am Ende erniedrigt er sich und holt Geld heraus. Doch sie schlüpft erneut in eine neue Identität. Nun ist sie die coole Emma-Journalistin, die eine Reportage über untreue Ehemänner schreibt. Das ist für ihn der endgültige Tiefschlag: Er trinkt ein hartes Getränk zu viel und schläft ein - auf ihren Schoß gebettet. Da ist dann schon eine gehörige Portion Mitleid ihrerseits erkennbar und eine Menge an Sympathie. All‘ diese Gefühle hindern sie nicht daran, am Morgen zu behaupten, es hätte eine fantastische Liebesnacht gegeben, um seinem Ego damit noch einen Tritt zu geben, da er sich an das, was nicht gewesen ist, auch nicht erinnern kann. Doch am Ende lässt auch sie alle Hüllen fallen, macht sich sehr, sehr verwundbar. Denn sie offenbart ihm, dass sie seine Tochter ist. Und es gibt eine zarte, melancholische Annäherung.

Der Mann ist Gregor Eckert. Und ihm gelingt es überaus facettenreich, die allmähliche Demontage eines Männerbildes zu versinnbildlichen. Großartig, wie er vom hohen Ross eines Macho-Mannes, der seinen Lebenslauf ein klein wenig aufpoliert, hinuntergeworfen wird und jede Phase dieses Prozesses unglaublich wahrhaftig herüberbringt. Welcher Mann im Publikum fühlt sich da an der einen oder anderen Stelle nicht ertappt?

Edina Hojas ist die Frau. Sie ist eine gestandene Frau. Doch ihr gelingt es problemlos, in die Rolle des jungen Mädchens zu schlüpfen, offenbart am Ende eine anrührende Verletzbarkeit. Vorher ist sie die absolut toughe Prostituierte und die neunmalkluge Journalistin. In jeder der angenommen, fiktionalen Persönlichkeiten weiß Hojas völlig zu überzeugen. Eckert und Hojas tragen den Abend mit großer Intensität.

Bei solch‘ überzeugendem Personal auf der Bühne hat der Regisseur es relativ leicht. Meinhard Zanger setzt die beiden in jedem Augenblick ins rechte Licht. Er sorgt perfekt für das Bespielen der ganzen Bühne und hat konsequent den kompletten Raum im Blick. Zanger inszeniert klar, deutlich und in direkten Bildern.

Fazit: Warum soll man auf der Kirmes lange überlegen, ob man sich in die Achterbahn wagt? Lieber den Schritt ins Theater tun. Da fährt das Hirn Karussell und man lernt dabei eine ganze Menge über Männer und Frauen!