Übrigens …

Das Gastmahl im Aachen, Theater

Auf der Suche nach der Unsterblichkeit

Als wir den Theatersaal betreten, läuft sie schon, die formative Installation „Symposion - or waiting for the guest“ der geheimnisvollen Star-Künstlerin Erose Task. Vier völlig verfremdete Figuren - vom Scheitel bis zu den Finger- und Zehenspitzen von einem Tigermuster überzogen, darüber opulent aufgetürmte Fantasiekostüme und Perücken - fläzen sich auf einem blauen Rundsofa, jede ein Mikro in der Hand, in das permanent wiederholte, unbeantwortet bleibende Fragen gestellt werden. Zwischendurch immer mal wieder die Aufforderung ans Publikum: „Kommen Sie auf die Bühne! Setzen Sie sich zu uns!“ Und tatsächlich trauen sich einige, spielen kurz mit und kommen zurück auf ihre Plätze. Dazu aus dem Off irritierende elektronische Klänge, die die gesamte Aufführung begleiten werden.

Inzwischen sind die Saaltüren geschlossen und wir erfahren, dass die scheinbar geschlechtslosen Figuren gleich zwei Spielebenen verkörpern: zum einen die alten Griechen, denn schließlich bezieht sich der Theaterabend ja auf Platons „Gastmahl“ (in anderen Übersetzungen auch: Trinkgelage) und auf die zeitgenössische Performance der fiktiven Autorin Erose Task. Dass es diese Frau Task gar nicht gibt, dass der Name vielmehr ein Anagramm von S-O-K-R-A-T-E-S ist, darauf muss man erst kommen (oder durchs Programmheft drauf gestoßen werden.)

Wie in Platons Symposion, nur sehr viel knapper, gibt’s eine Art Vorstellungsrunde, in der sich die Spieler und Spielerinnen mit den Namen der griechischen Gastmahl-Teilnehmer ansprechen: der Komödiendichter Aristophanes wird gleich doppelt besetzt, Elia und Mammut übernehmen in der Performance seinen Text (gespielt von Petya Alabozova und Shehab Fatoum), Agathon, bei Platon der Gastgeber, wird in der Performance von Mika übernommen (gespielt von Emil Gutheil) und Pausanias tritt als Saufi auf (gespielt von Puah Kriener.) In dieser Rahmenhandlung wird geklärt, dass sie alle heute ausnahmsweise auf einen Rausch verzichten wollen, da dieser „den Menschen unzuträglich ist“. Sie beschließen: „Wir verbringen unser heutiges Zusammensein mit Reden“, und zwar ganz wie bei Platon mit einem „Loblied auf den Gott Eros“.

Nach dieser Runde, in der die Tigermasken auch mal abgestreift werden, kommen wir wieder in die alternative Realität der Performance: ganz unkostümiert im biederen Hosenanzug tritt eine Frau auf, greift zum Mikrofon und stellt sich einigermaßen zerstreut als Dr. Smilla Margarethe Vonn vor, die neuernannte Direktorin der Kunsthalle, in der wir alle wohl sitzen und von ihr einigermaßen hilflos begrüßt werden. Sie kündigt die Performance „Symposion - or waiting fort he guest“ an, die sie von ihrem Vorgänger übernehmen musste. Sie wiederholt sich, verhaspelt sich, das Ganze ist als Karikatur des Kulturbetriebs zu nehmen.

Dann sind wir wieder bei den Griechen, auf Pausanas Idee von der Schuldlosigkeit der Liebenden, denen die Götter jeden falschen Liebesschwur verzeihen, folgt Aristophanes mit der Theorie vom dritten Geschlecht, dem androgynen Kugelmenschen, den Zeus für seinen Übermut zerteilte, und dessen Bruchstücke sich seither nach Wiedervereinigung sehnen. Auf der Bühne steht eine Live-Kamera, die die Bilder ab und an auf die Rückwand oder auf zwei Monitoren wirft und durch die Vervielfältigung das Irreale des Geschehens noch verstärkt.

Danach bringt Agathon das Loblied auf Eros, auf seine Schönheit, ewige Jugend, Geschmeidigkeit und Weisheit, als Schöpfer der Musen und Helfer der Menschen. Ein bisschen übertrieben.

Die vorgetäuschte Interaktion, bei der der Schauspieler Claus Blankertz als Zuschauer auf die Bühne geht und von seiner Kinderliebe erzählt, ist überflüssig und unernst.

Auch der ständige Wechsel zwischen Deutsch und Englisch bringt bei den ohnehin vielen Zeit- und Ebenenwechseln eine zusätzliche, unnötige Irritation.

Plötzlich steht die Performance-Gruppe in Alltagskleidung da. Die drei Wochen sind um. Sie gehen zurück ins Privatleben, von dem wir zwischendurch schon das Eine oder Andere gehört haben. Zum Abschied gibt es Kuchen und Sekt von der Direktorin, doch die Stimmung ist angespannt, die jungen Leute gehen.

Doch dann gibt der ungarische Regisseur Jakab Tarnóczi der bis dahin so gar nicht als Sympathie-Figur aufgetretenen Bettina Scheuritzel noch einen großen Abgang: den Sokrates-Monolog und das Schlusslied. Auch bei Platon erscheint Sokrates erst nach dem eigentlichen Gastmahl und schreibt der Seherin Diotima die Idee von den Stufen der Liebe zu. „Den rechten Weg zu den Dingen der Liebe zu gehen, bedeutet dann, dass man weiter hinaufsteigt, wie auf Stufen von den schönen Leibern zu den schönen Einrichtungen, und von den schönen Einrichtungen zu den schönen Wissenschaften, bis man dann zu jener Wissenschaft gelangt, die die Wissenschaft von nichts anderem als vom Schönen selbst ist, und schließlich erkennt, was das Schöne ist“.

Nehmen wir dieses Bild, das Platon sinngemäß dem Sokrates als Diotima-Zitat in den Mund legt, als Beispiel „platonischer Liebe“, so ist es weit entfernt vom heutigen Verständnis platonischer Liebe als Liebe ohne Sex.

Jakab Tarnóczi arbeitet gern mit Improvisationen. Gemeinsam mit seinem Team und dem Ensemble erarbeitete er den Stücktext und verflocht den antiken Text mit den Lebensgeschichten der einzelnen Charaktere und der Idee der aktuellen Performance.