Iggy Pop meets Rex Gildo
Faust ist müde. Ohne Energie schlurft der Meister zum Piano. Schleppend klingt sein „Super Trouper“. Beams are gonna blind me? Oh no, boy, mit dieser Performance kannst der Blindfisch niemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Selbst der Pudel winkt müde ab, als er kurz mal um die Ecke lugt. Da heißt es schnell: „Germany – Zero Points.“
Äähh, Zwischenfrage - Quizfrage: „Wo kriegen wir weniger Punkte: beim European Song Contest oder in der Vorrunde der Fußball-WM?“ Ach, es steht derzeit schlecht um deutschen Fußball, deutschen Schlager und deutsche Fußballschlager. Das war allerdings nicht immer so. Die Vereinigten Bühnen Krefeld Mönchengladbach versuchen, Abhilfe zu schaffen – zumindest auf der musikalischen Seite. Mit den Autoren Jörg Wockenfuß und Nicolas Schwarzbürger sowie dem Regisseur Christoph Roos hat das Theater drei Erfolgstrainer gefunden und lässt Schlager gegen Punk Rock antreten. In einer bildungsbürgerlichen Kulturstätte muss sowas natürlich ein bisschen intellektuell aufgeladen werden, und was taugt besser zum Booster als der olle eitle Goethe? Der Musikwettbewerb wird also kurzerhand mit ein paar Motiven aus dem „Faust“ verknotet. Geben wir’s zu: Das klappt nicht wirklich, aber es schlägt ein paar witzige Funken. Doch eigentlich ist es überflüssig: „Pudelpunk“ rockt wie Rex Gildo und ACDC zusammen. Wo außer am Krefelder Theaterplatz stehen die schon mal gemeinsam auf der Bühne?
„Habe nun, ach, Schlager, Pop und Popperei studiert…“, sinniert Adrian Linke. Sein Faust heißt Rolf Kugel wie Ralph Siegel, hat in seinem Leben häufiger einen neuen Schlager als den Müll rausgebracht und ist dringend auf der Suche nach einer neuen Number One. Ein veritables Katja-Ebstein-Quartett, angetan mit Billig-Perücken von Friseuse Katja aus dem Problemviertel nebenan und exquisiten Scheußlichkeiten vom Woolworth der 1970er, könnte Herrn Kugel als Hoffnungsträger dienen. Bei Ebsteins „Theater, Theater“ klatscht das Krefelder Publikum im ausverkauften Haus bierzeltseig mit. Aber immerhin ist unsere Katja beim ESC zweimal Dritte und einmal sogar Zweite geworden, was Isaak nächsten Monat in Malmö garantiert nicht ansatzweise gelingen wird. Bald wird auch des Rezensenten stiff underlip fröhlichem rhythmischem Klatschen weichen, und zwar nicht erst, als der – vornehm ausgedrückt - vollschlanke Paul Steinbach im rosa-weiß gestreiften Selbstgestrickten den lebenden Beweis für die tiefgründigen Erkenntnisse antritt, die deutsche Schlagertexte bereithalten: „Du kannst nicht immer 17 sein…“ – Schaut ihn an, den Steinbach Paule, und schaut am eigenen sich wölbenden Bauch hinunter, und ihr wisst, wie recht der Sänger hat.
Trotzdem fühlt man sich wieder wie … naja, vielleicht wie 14. Mit 17 hörten wir schon andere Musik. Und für die gibt es ja Mephisto. Als teuflischer Assistent und Gegenpart dient dem faustischen Kugel-Siegel der „Godfather of Punk“: die (gelegentlich) pudelköpfige Rockröhre Esther Keil als Iggy Pop. Ist ja klar: „I want to be your dog“. Esther fetzt los, ready to lose her heart in the burning sand. Das also ist des Pudels Kern - was hat die Frau für ein Organ!
Auf dem „Highway to Hell“ geht es nun rasant durch die Geschichte des ESC und des Punk: vom CBGB’s in New York über das Roxy in London zum legendären Ratinger Hof nach Düsseldorf. Man taucht ein in die „Ursuppe des Punk“, denkt an Rock, Rebellion and Ramones, die famosen drei R aus Rock’n Roll High School, und guckt sich ein paar Pappfiguren in der Popart-Ästhetik der 1970 er an. Naima Laube ist Debbie Harry – eine Blondie-Sängerin mit tiefschwarzem Haar. Gelegentlich mischt sie sogar soulige Töne unter den Punk Rock. Fast alle Schlager und Rock Songs sind neu arrangiert, und so ist das Publikum bei Blondies „One Way or Another“ geradezu andächtig still. Laube ist auch Gretchen, und Gretchens Geschichte ist Grund genug, um Iggy Pop aufs Wort zu glauben, dass auch Goethe in der Hölle brät. Schließlich hat er den Kinderschänder geschaffen, der jetzt mit der rassigen Frau Laube tanzt: „Marie, der letzte Tanz ist nur für dich…“ Wenn Adrian Linke das singt, klingt es ein wenig, als könnte es tatsächlich einer der letzten Tänze des alten Faust sein, aber das schwarze Gretchen-Blondie hat das Leben noch vor sich: Rockiger als Linke interpretiert Naima Laube den Song. Iggy Pop steht unauffällig am Bühnenrand und wippt mit dem Körper. Köstlich, die Vorstellung: Rex Gildo im CGBG’s - hossa!
Nicht alles gefällt Iggy. Bei „Waterloo“ ist der Spaß vorbei: „Willst du statt des Highway to Hell das Reihenhaus in der himmlischen 30er Zone?“, fragt Mephisto seinen Faust: Yeaah, da schließt sich der Rezensent gern an: „Sei Genießer, nicht Spießer!“ Was so ’ne richtig fetzige Grete ist, kennt ihren Text: „Bin weder Fräulein weder schön – wer sagt denn, dass ich will nach Hause geh’n?“ Man muss sich weiter drehn in der Musikgeschichte; im Roxy ist „London Calling“, zwischendurch macht Faust mal wieder auf dicke Hose und vergisst, dass er mit seinen Dschingis-Khan-Phantasien das Gretchen in den Knast gebracht hat („Er zeugte sieben Kinder / in einer Nacht“), und schließlich landen wir im Ratinger Hof, dem „Nabel des deutschen Punk“. Zwei hammerstarke Stunden unangestrengter, unkomplizierter Unterhaltung geht das so: Patti Smith wechselt sich mit den „Fehlfarben“ ab, David Bowie mit Lena, deren „Satellite“ vollkommen umgedichtet wird, und Nicoles „Ein bisschen Frieden“ zeigt, welches musikalische Potential in dem Lied steckt.
Joseph Beuys sitzt 1982 auf der Fernseh-Couch und gibt sein „Sonne statt Reagan“ zum Besten: „Ob West, ob Ost: auf Raketen muss Rost“. Jeder Mensch ist ein Künstler, wusste der Schamane. Singen konnte er nicht. Aber die Souffleuse kann’s: Plötzlich steht Tine Schumann auf und schmettert mit volltönender Stimme ein „Don’t Cry“ ins Publikum, gegen das Johnny Logan mit seinem „Hold Me Now“ keine Schnitte kriegte. Die Zuschauer halten sich nicht an die Bitte. Sie schreien trotzdem: vor Begeisterung. „Rise like a Phoenix“, singt Conchita Wurst. Jede Wette: Der Abend hebt ab. In Krefeld ist er längst Kult.