Übrigens …

Die Optimistinnen im Bielefeld, Stadttheater

Wilder Streik

Waahnsinn. Die Vier vom Streikkomitee rocken das Theater am Alten Markt in Bielefeld, wie es das wohl noch nie zuvor in der Geschichte des Hauses gegeben hat. Am Ende stehen alle Zuschauerinnen und Zuschauer, jubeln, klatschen, tanzen oder bewegen sich im Rhythmus der türkischen Musik, die Vier geben eine Zugabe. Die Zustimmung, ach Begeisterung fing schon mit der zweiten Musiknummer an: Es wurde schon mal mitgeklatscht im Rhythmus der Musik.

Dabei war der Anlass ein doch eher nicht so begeisterungsfähiger. Die Vier - zunächst sind es freilich nur drei Frauen - sind empört: Sie haben erfahren, dass sie für ihre Arbeit in der Vergaserfabrik Pierburg in Neuss weniger Lohn bekommen als die Männer. Erheblich weniger: die Frauen sind in Leichtlohngruppe 2 eingestuft für 4,70 DM/Stunde, die Männer erhalten 6,10 DM! Für die gleiche Arbeit! Der Zorn über diese Ungerechtigkeit kocht ersichtlich in den Gesichtern von Nour (Fabienne-Deniz Hammer), Tülay (Mayan Goldenfeld) und Mercedes (Carmen Priego).

Die Szene spielt im Jahr 1973. Der wilde Streik, den die drei Damen anzetteln, hat tatsächlich stattgefunden. Und er war erfolgreich, was angesichts der Tatsache, dass Werksleitung - die sowieso -, Betriebsrat - erst dagegen, weil ungesetzlich - und die restliche männliche Belegschaft - was wollen die?: streiken?? - alle grundsätzlich gegen streikende Frauen waren. Hintergrund ist der Roman von Gün Tank Die Optimistinnen, in dem das Schicksal von Nour erzählt wird, die unter Leidensgenossinnen aus Süd- und Südosteuropa in der Oberpfalz landet und als Außenseiterin auffällt: Im Gegensatz zu den meisten anderen schwarz und verhüllt gekleideten Frauen trägt sie Minirock. Ruhe findet sie auf dem Friedhof am Grab einer Frau, die in den 1920er Jahren für die Rechte der Arbeiterinnen kämpfte. Und jung im Alter von 22 Jahren an einer durch Porzellanstaub verklebten Lunge starb. Schlechte Arbeitsbedingungen gab’s auch bei Pierburg. Es ging also nicht nur um mehr Lohn, sondern auch um verbesserte Arbeitsbedingungen, die Wohnsituation und Sprachkurse.

Der türkischstämmige Regisseur Murat Yeginer, seit mehr als vierzig Jahren auf deutschen Bühnen als Schauspieler und Regisseur unterwegs, hat die Bühnenfassung dieses Romans erstellt und ergänzt um betörende Musiknummern. Die auf türkisch von den Schauspielerinnen mit gelegentlicher Unterstützung von den Männern der Begleitband (Eren Aksahin, Till Menzer, Oliver Siegel) gesungenen Lieder lassen den Wohlklang dieser Sprache ganz wunderbar erfassen. Die Lieder erzählen einerseits von ihren Sehnsüchten, andererseits von Hoffnungen und Forderungen. Und wenn es um die Forderungen geht, drehen die Frauen auf und mit ihrem Rhythmus, der ihnen in die Füße „geht“, animieren sie das Publikum zu Szenenapplaus ohne Ende.

Natürlich ist der Erfolg des Streiks absehbar, aber der Weg dorthin ist beschwerlich. Das fängt mit der Verständigung der Drei an. Mercedes ist Spanierin (wie ihre Darstellerin), Nour ist Türkin wie Tülay. Die vierte im Bunde ist Ira (Rosalia Warnke), die als Deutsche quasi den Kontakt zur Außenwelt herstellt. Aber egal, was auch passiert - Schikanen durch Betriebsrat, Werksleiter, Polizei -, alle Fährnisse werden gemeistert. Am Ende steht die gesamte Belegschaft hinter dem Streik. Zwar war die Forderung nach einer Mark mehr Lohn illusorisch, es wurden dann nur 30 Pfennig - also in der Realität -, viel wichtiger aber war die breite Solidarität.

Noch etwas sollte nicht verschwiegen werden. Am Premierenwochenende wurde bundesweit der Geburtstag des Grundgesetzes gefeiert. Gelobt wurde die beste Verfassung auf deutschem Boden. Der Streik zeigt jedoch, dass nicht alles so golden war, wie es heute glänzen soll.