Übrigens …

Ich will das so! im Theater Münster

Kinder an die Macht

Einfach mal die Perspektive wechseln, ausgetretene Pfade verlassen, die Welt mit anderen Augen sehen - das ist sicher nicht die schlechteste Idee. Nicht nur, wenn im Leben mal Probleme auftauchen, sondern ganz generell! Aber mal ehrlich: wann und wo passiert ein solcher Perspektivwechsel wirklich einmal im realen Leben?

Im Theater, diesem Traumort, geht das. Da werden Grenzen überschritten, da bekommen (vermeintliche) Illusionen ein Podium. So wie jetzt im Jungen Theater Münster. Dort steht derzeit ein ganz besonderes Projekt auf dem Spielplan: Ich will das so!. Ein Stück quasi als Rollentausch: was wäre, wenn nicht die Erwachsenen ihre Kinder erziehen, sondern umgekehrt die Kinder ihre Eltern? Was wäre, wenn es mal nicht hieße: „Seid mal still, wenn wir Erwachsenen uns unterhalten!“ sondern: „Ich ziehe heute an, was ich will“ oder „Ich gehe heute mal später ins Bett“ oder „Ich hab Spaß daran, mit meinem Essen zu spielen“? Anders ausgedrückt: Kinder erziehen ihre Eltern!

Genau darum geht‘s in der jüngsten Produktion des Performancekollektivs „Leute wie die“. Ein Stück für ein Theaterpublikum ab fünf Jahren. Mit rund sechzig Minuten Spieldauer gewiss kein Kurz-Spektakel, aber eines, das in jedem Moment große Aufmerksamkeit weckt bei den Kindern und Jugendlichen, die es erleben. Jedenfalls wurde im Theater Münster eine durchgehend sowohl konzentrierte als auch lebendige Atmosphäre spürbar. Es gibt viel zu sehen und auch zu hören, viele tolle Bilder, überraschende Effekte, lustige und traurige Momente, sogar ein wenig Gruseleffekt… - dramaturgisch raffiniert angelegte Sequenzen, die keinen Augenblick lang ohne Spannung sind. Konstantin Buchholz, Adriane Große und Pia Katharina Jendreizik schlüpfen in die durchaus anarchistisch agierenden Rollen der Kinder, die ihre eigenen Vorstellungen entwickeln von Eltern nach ihrem Geschmack.

Und dies auf ganz besonderem Weg der Kommunikation. Denn Ich will das so! ist ein Stück, das sowohl in Laut- als auch in Gebärdensprache präsentiert wird, sich also an ein im Theater bislang doch weitgehend vernachlässigtes Publikum richtet. Das Kollektiv „Leute wie die“ schafft den Brückenschlag zwischen Menschen, die mit all ihren Sinnen „ganz normal“ durch die Welt gehen und denen, die gehörlos sind, aber dank Gebärdensprache in vollem Umfang teilhaben am Leben. Und hier eben auch am Leben auf der Theaterbühne.

Die vielen jungen Zuschauer:innen - ob gehörlos oder hörend - werden eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung gut vorbereitet und mit dem Thema vertraut gemacht. Die Hörenden lernen erste „Vokabeln“ der Gebärdensprache, Gehörlose berichten von ihren Erfahrungen. Eine Kommunikation auf Augenhöhe also. Dann geht es ab auf die Plätze im Theater, anschließend wird gemeinsam mit den Akteur:innen geplaudert, Fragen gestellt, erzählt. Eine gute Idee im Umgang mit einem bislang noch viel zu wenig „beackerten“ Thema, gerade für Kinder und Jugendliche.

Zurück zum Inhalt der Geschichte und der umgekehrten Perspektive. Ist das utopisch? Man weiß es nicht - hat schließlich noch nie irgend jemand wirklich ausprobiert. Schade!

Fazit: ein in jeder Hinsicht wichtiges und wertvolles Stück. Für Kinder und Jugendliche, deren Horizont sich weitet - für Erwachsene, die ihre Rolle aus Kindersicht mal reflektieren können. Und für beide Zielgruppen, um sensibel zu werden für gehörlose Mitmenschen, für die das Nicht-Hören-Können kein Handicap mehr sein sollte.

Ich will das so! gehört an jede Schule, an jedes Theater. Unbedingt.