Übrigens …

König Lear im Neuss, Rheinisches Landestheater

Eingefahrene Verhaltensmuster werden durchdacht

Am RLT Neuss kam als letzte Inszenierung unter der Intendanz von Caroline Stolz Shakespeares „König Lear“ in einer gekürzten Fassung heraus. Tom Gerber, der nicht nur Regie führte, sondern auch für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnete, inszenierte eine zeitgenössische Überarbeitung des Gegenwartsdramatikers Thomas Melle, der bei seiner Bearbeitung des Stoffes nah am Original blieb.

König Lear hat sich entschieden, seine Amtsgeschäfte zu gleichen Teilen seinen drei Töchtern anzuvertrauen. Als Gegenleistung erwartet er ihre Liebesbekundungen. Goneril und Regan überbieten sich in Lippenbekenntnissen, wobei offensichtlich diese nur aus Kalkül gegeben werden. Lediglich Cordelia stellt fast sachlich fest, sie liebe ihn und nichts mehr. Lear ist empört und verstößt und verbannt sie daraufhin. Bald jedoch muss er erkennen, welchen Irrtum er begangen hat. Schmerzlich die Erfahrung, ohne Macht zu leben.
Auch Graf Gloucester, ein Mitglied des Hofes von Lear, lässt sich von seinem illegitimen Sohn Edmund täuschen, der seinen Halbbruder Edgar verleumdet. Ebenso wie Lear erkennt Gloucester erst nach leidvoller Erfahrung die Welt so, wie sie ist.

Melle behält in seiner Textfassung die großen Konflikte bei. Allerdings wird hier die Ablösung des alten patriachalischen Systems durch eine feministische Gesellschaft diskutiert. Die Frauen bei ihm agieren durchaus eigenständig. Doch Goneril und Regan verfallen in alte Muster, als sie Macht in Händen halten. Dazu der Dramaturg Garofalo: „Melle stellt die Frage, ob es reicht, nur die Figuren auszutauschen, ohne die Regeln zu ändern.“ Was nicht unbedingt von Erfolg gekrönt sein muss.
In Gerbers Inszenierung sind einige Dinge verändert, die zunächst gewöhnungsbedürftig sind. Gloucester (Carl-Ludwig Weinknecht) mutiert zu einer Frau, ebenso Lears treuer Gefolgsmann Kent. Alle Darsteller sind in schwarz-weiße Kimonos gekleidet und bewegen sich mit Trippelschritten vorwärts. Die Gesichter sind schwarz-weiß geschminkt, maskenhaft. Ein ungewöhnlicher Zugang zu diesem Drama. Stefan Schleue ist Lear, glaubhaft seine Verzweiflung, kommt er doch in dieser Welt nicht mehr zurecht. Hervorragend Antonia Schirmeister als Kent und Narr. Überhaupt besticht das Ensemble durch eine konzentrierte Darstellung, die manch ungewohnten Effekt (s.o.) vergessen lässt. Zu nennen wären noch: Nelly Politt (Goneril), Katrin Hauptmann (Regan), Hergard Engert (Cordelia), Simon Rußig (Edmund), Benjamin Schardt (Edgar) und Jonathan Dorando (Oswald). Herzlicher, langer Applaus.