Übrigens …

Die Mausefalle im Bielefeld, Stadttheater

Rollenspiele

Das berühmteste Theaterstück von Agatha Christie Die Mausefalle - Uraufführung war am 25. November 1952 im Londoner Westend - ist gleichzeitig das Kriminaldrama mit der bislang längsten Laufzeit in der Theatergeschichte: Mit Ausnahme der Pandemie vom 6. März 2020 bis zum 17. Mai 2021 wurde das Stück in immer neuen Besetzungen ununterbrochen gespielt. Nun also gibt das Bielefelder Theater Interessierten die Möglichkeit, sich in aller Ruhe anzuschauen, was in London nach wie vor Besucherinnen und Besucher zu Lachstürmen hinreißt.

Mollie Ralston (Elene Berthold) und ihr Ehemann Giles (Janis Kuhnt), seit einem Jahr glücklich verheiratet, haben gerade die Pension Monkswell Manor eröffnet und erwarten die ersten, angemeldeten Gäste. Erschwert wird dieser Tag durch heftigen Schneefall. Das hat zur Folge, dass die Taxifahrer sich weigern, die Auffahrt zur Pension zu fahren. Zu glatt, zu gefährlich. Also kämpfen sich die Gäste mit ihrem Gepäck mühsam durch das Schneetreiben. Und sind dementsprechend ungehalten über die Empfangssituation. Mrs. Boyle (Stefan Imholz) z.B. vermisst das Personal. Und zwar grundsätzlich: für den Garten, die Küche, das Gepäck. Mollie und Giles bemühen sich zwar, den Erfordernissen gerecht zu werden, aber Mrs. Boyle reicht das hinten und vorn nicht. Der pensionierte Major Metcalf (Thomas Wolf) sieht das nicht ganz so eng. Ihm reicht der Vorrat an Brandy und Whisky an der Bar. Christopher Wren (Jan Hille) ist Architekturstudent, der zufällig so heißt wie der Erbauer der St. Pauls-Kathedrale. Miss Casewell (Brit Dehler) war kurz zuvor von Mallorca zurückgekommen. Das Auskommen als Künstlerin hatte dort nicht gereicht. Damit wäre die Gästeschar komplett, wenn da nicht auf einmal Mr. Paravicini (Lukas Graser) hereingeplatzt wäre. Sein Rolls-Royce habe sich in einer Schneewehe überschlagen und er habe das Licht dieses Hauses als Rettung empfunden. Kaum hat sich die Aufregung um seine Ankunft gelegt, klingelt das Telefon. Die Polizei kündigt die Ankunft eines ihrer Beamten an. Warum der kommt, wird nicht gesagt.

Mittlerweile wurde im immer wieder ausgeschalteten Radio die Meldung wiederholt, in London sei eine Maureen Lyon ermordet worden. Es folgt eine Täterbeschreibung. Tatsächlich erscheint wenig später Sergeant Trotter (Simon Heinle) auf Skiern. Sein Auftritt ist der erste wirklich komische Auftritt. Unter grotesken Verrenkungen gelingt es ihm, mitsamt den Skiern an den Füßen durch das weit geöffnete Fenster das Haus zu betreten. Die Haustür war ja inzwischen vom Schnee zugeweht. Mittlerweile ist allerdings auch die Telefonleitung tot.

Er berichtet von dem beim Opfer gefundenen Notizbuch des Täters. Das enthält drei wichtige Informationen: Maureen Lyon hießt eigentlich Maureen Stanning und hat während des Krieges drei ihr anvertraute Kinder misshandelt. Eines starb. Der Mörder hat einen Zettel mit dem Kinderlied „Drei blinde Mäuse“ hinterlassen mit dem Hinweis: „Das war die erste“. Und weil darüber hinaus die Adresse dieser Pension in dem Notizbuch stand, wird der Mörder entweder hier erwartet oder er ist schon anwesend. Als erstes stellt sich heraus, dass Mrs. Boyle in den Fall der Kinder verwickelt ist: Sie hat die Kinder der Familie Stanning zugewiesen. Wenig später ist sie tot.

Das ist die Ausgangslage zu Beginn des zweiten Aktes. Aus einem Abend in einer eingeschneiten Pension wird die Suche nach dem Mörder. Das verändert die Rollen der Darsteller. Sie sind nicht nur die Personen, als die sie sich eingeführt haben, eine oder einer von ihnen ist ein Mörder bzw. Mörderin. Und wie es der Zufall so will, hatten alle am Tag in London zu tun bzw. kamen von dort. Im Verhör, das Trotter veranstaltet, kommt so einiges heraus, was so ziemlich jeden der Anwesenden verdächtig macht.

Auch Mollie ist in den Fall Stanning verwickelt. Sie war damals die Lehrerin der Kinder und konnte wegen Krankheit seinerzeit auf einen entsprechenden Hilferuf nicht reagieren. Außerdem war sie ebenso wie ihr Mann Giles am Nachmittag in London gewesen. Das wussten beide voneinander allerdings nicht. Miss Casewell, stellt sich heraus, ist Trotters Schwester. Christopher Wren ist als Deserteur auf der Flucht vor der Armee. Major Metcalf enttarnt sich selbst am Schluss als Polizist.

Das Spiel im Spiel ist das Problem der Inszenierung. Regisseur Leonardo Raab hat die doppelten oder unterschlagenen Identitäten, die im zweiten Akt auftauchen, im ersten Akt gar nicht erst in Szene gesetzt. Alle treten als die oder der auf, die sie laut Rolle sind. Dass Miss Boyle in den Fall Stanning verwickelt war, wäre ja nun ein Punkt, den der Regisseur hätte etwas deutlicher hervorheben müssen. Weil das dem Geschehen eine neue Dramatik verleiht. Wenn also die Lady, die damals die Weichen gestellt hat für das spätere Drama, hier in der Wildnis - wenn auch nur 30 Meilen von London entfernt - aufgespürt wird, wie geht das weiter? Denn sie ist tot. Ermordet. Wer ist der oder die Nächste? Die zweite der drei blinden Mäuse ist tot. Der Zettel mit der Prophezeiung muss doch für Unruhe sorgen. Nichts davon ist zu bemerken.

Das wurde auch durch das Bühnenbild notwendigerweise nicht unterstützt. Die mit Mobiliar vollgestellte und zu allen Seiten mit Türen zu allen Nebenräumen kombinierte Eingangswohnzimmerhalle erfüllt ihren Zweck, wie er in diesen Dramen erforderlich ist. Die Agierenden haben eigentlich zu wenig Platz, müssen stolpern oder drängeln oder z.B. immer wieder über das Sofa steigen, um ihren Weg zu finden. Das zu arrangieren ist schwer genug. Es sorgte aber immer wieder für die erforderlichen Lacher.

Leider ist dem Regisseur aber dabei etwas anderes entgangen. Wenn z.B. Janis Kuhnt im Bühnenhintergrund agiert und spricht, ist er fast nicht zu verstehen. Und das nicht nur, wenn er versucht diskret leise zu sprechen. Ansonsten ist er der perfekt eifersüchtige Gatte, als Hotelier jedoch unbrauchbar. Auch Brit Dehlers Aussprache lässt gelegentlich zu wünschen übrig. Elena Berthold ist entsprechend den Umständen der unmittelbaren Nachkriegszeit in England eine nahezu perfekte Gastgeberin. Sie kommt sprachlich immer und überall verständlich durch. Stefan Imholz gibt eine Nervensäge mit in diesem Ambiente unerfüllbaren Ansprüchen. Lukas Graser als Mr. Paravicini ist ein früher Hippy. Simon Heinle als Trotter beherrscht seinen Part, den Bühnenraum und die Mitspieler fast perfekt. Bis auf einen. Der Brandytrinker Major Metcalf hat seinen Standort oft am linken Bühnenrand, was Thomas Wolff ungeheure Präsenz gibt. Er hat gar nicht viel zu reden. Doch das tut er wie immer gewohnt präzise.

Das Publikum dankte mit reichlich Beifall. Sergeant Trotter bat nach dem Schlussapplaus das Publikum, den Täter, sofern erahnt oder erraten, niemandem zu verraten.