Übrigens …

Fremd im Bonn, Theater

Auf dem Friedhof geboren

Bei den „Tagen des Exils“ vom 30. August bis 14. September 2024 in Bonn geht es um die Auseinandersetzung mit politischer Verfolgung, Flucht, Entwurzelung und nicht zuletzt um Fremdheit. Mit „Fremdsein bis in alle Ewigkeit“ fügt sich da das Langgedicht Fremd von Michel Friedman, vom Theater Bonn in der Werkstatt auf die Bühne gebracht, eindrucksvoll ein.

Die Stimmung ist düster, im Hintergrund ein schwarz-weißes Foto von der verwitterten Mauer eines zerstörten Hauses, in der Mitte als Drehbühne eine grau-schwarze, holprige Schräge, auf der die Spielenden weder Sicherheit noch Ruhe finden können. Rechts und links riesige dunkelgraue Fahnen hinter dem Platz für den Live-Musiker und einer langen schwarzen Kiste.

Drei junge Leute treten auf, alle in grau-blauem Outfit, ganz gleich, ob Sweatshirt, Pullover oder Blaser, dazu kurze Hosen, Kniestrümpfe und Sneakers, alles Ton-in-Ton. Drei große Kinder, die doch nur eines darstellen, genau genommen den Autor Michel Friedman, der in dem stark autobiographischen poetischen Text über sein eigenes Fremdsein nachsinnt.

Das „Dreifach-Kind“ auf der Bühne ist wie Friedman in Paris als Kind von Shoah-Überlebenden geboren, immigrierte mit schwer traumatisierten Eltern in den sechziger Jahren nach Deutschland, ins „Land der Mörder“, wie es mehrfach bestürzend heißt. Bis zum achtzehnten Lebensjahr bleibt es staatenlos. Dann erhält es Papiere, die flattern in Mengen über die Bühne, doch die Heimatlosigkeit, die Fremdheit bleiben. „Irgendwo im Nirgendwo lebe ich“, heißt es resignierend.

 

Ich bin auf einem Friedhof geboren.

Schmerz.

Der keinen Anfang kennt,

der kein Ende kennt“,

klagen die Drei chorisch und gehen dann über das eigene Leid hinaus, erweitern ihr Klagelied auf die Eltern, später auf „so viele, deren Elternwelt zerrissen.

Gestört,

verstört,

zerstört ist.

Verfolgte,

Geflüchtete,

Arme,

Kranke“.

Wir hören, dass sie alle ihre Kinder zum Überleben brauchen, ohne zu bedenken, dass auch die Traurigkeit der Kinder „eine Ewigkeit andauern kann“.

Großartig, wie die Drei immer mal wieder aus dem gemeinsamen Ich heraustreten, etwa in Spielszenen, in denen es um die Traumata der Eltern geht. Ganz behutsam übernimmt dann einer die Rolle von Vater oder Mutter, wenn der Text auch gar keinen Dialog vorgibt. Ergreifend auch die Szene, wenn das inzwischen erwachsene Kind sich vorwirft, den langsamen Suizid des Vaters nicht bemerkt zu haben, die schwarze Kiste umdreht und dann alle drei zum Totenlied farblose Blütenblätter in den Sarg gleiten lassen.

Vieles wird chorisch gesprochen - es ist ja ein Kind das uns in diesem kunstvollen lyrischen Text aus seinem Leben berichtet - fast durchgehend von einem ruhigen Klangteppich des israelischen Musikers Yotam Schlezinger unterlegt. Die eingeschobenen Lieder auf Hebräisch mögen andeuten, dass die Fremdheit beidseitig sein kann: „Wenn ich Angst vor dem Fremden habe, wie viel Angst hat der Fremde vor mir?“ fragt der Text.

Die meisten Szenen spielen auf der Schräge mit großem Bewegungsanteil - es handelt sich ja schließlich um ein Kind, das uns da von seinen Nöten berichtet - was die Gefährdung und Verunsicherung optisch unterstreicht.

Gelegentlich treten sie aus der eigenen Geschichte raus, wenden sich unmittelbar ans Publikum, etwa mit einem „Brief an die Politik“, in dem sie ganz konkret auf derzeitige Probleme eingehen: „Wir haben es mit politischen Kräften zu tun, die dieses Land verändern wollen“, heißt es da.

Zweifellos muss das erinnerungsschwere Prosagedicht des Achtundsechzigjährigen Friedman aus dem Jahr 2022 angesichts der politischen und gesellschaftlichen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart als Plädoyer für eine verantwortungsvolle Erinnerungskultur und als Mahnung zur Menschlichkeit hier und jetzt gehört werden, doch darüber hinaus gelingt es den drei jungen Menschen auf der Bühne durch ihr engagiertes, ergreifendes Spiel, den Glauben an eine Zukunft, die Hoffnung auf ein lebenswertes Leben für die kommende Generation nicht zu verlieren. So heißt es zum Schluss: „Das Kind will nicht aufgeben. Das Kind lebt“.