Le Coq est mort
Der Firmenpatriarch steht auf einer Säule. Zumindest eine Urne mit seiner Asche, denn Wäschefabrikant Georg Steinfels ist tot. Eine würdige Trauerfeier hat sein Nachfolger Georg Bohne geplant, um dann endlich nach jahrzehntelanger Plackerei unter dem „Alten“ die Firma allein weiterführen zu können. Doch ach, all‘ seine Organisationsanstrengungen haben nicht den gewünschten Effekt, werden sogar zu Fallstricken für ihn, in denen er sich immer tiefer verfängt. Mit Alina Bergreiter taucht nämlich eine jüngere Konkurrentin auf, die Aspekte aufwirft, die über Bohnes Horizonz gehen, denen er sich bislang noch nicht stellen musste. Gemeinsam mit dem alerten Social-Media-Referenten und einer Praktikantin bringt sie Fragen ein, die das Gendern betreffen, die LGBTQ+-Community und auch kulturelle Aneignung - das Thema „Wokeness“ also. Dieser Begriff beherrscht die Debatten schon einige Jahre, ist aber für Herrn Bohne offensichtlich Neuland. Und so können Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob - das bewährte Autorengespann - aus dem Vollen schöpfen. Sie ersinnen ein veritables Duell, in dem Kontrahent und Kontrahentin, sich Begriffe und (Schein-)argumente nur so um die Ohren werfen, assistiert von wechselnden Sekundant:innen. Das kommt sehr munter daher, zumal sich Zuschreibungen männlicher und weiblicher Vorgehensweisen da schon mal verwischen oder verschieben. Die Autoren entfalten anhand der Begriffe ein munteres Geplänkel. Da sie auf wirklich böse Zuspitzungen ebenso verzichten wie auf das Ausloten tiefer gehender Problematik dieser Debatten, kann sich das gesamte Publikum amüsieren: Der Teil, der zum ersten Mal ins Thema geworfen wird, weil er in eine quasi „exotische“ Welt gerät. Diejenigen, die „in der Debatte“ stehen erfreuen sich ganz einfach am Duell.
Andrea Krautledat und Ausstatterin Elke König inszenieren in einer Friedhofskapelle. Die bietet mit ein paar Stühlen und einigen Stufen genug Möglichkeiten für Bewegung. Mal steht man sich auf beiden Seiten gegenüber, mal doziert jemand von oben herab. Krautledat kann so stets neue, sinnfällige Bilder schaffen. Das Borchert-Ensemble ist ganz in seinem Element: Gregor Eckert als Bohne kehrt verzweifelt den Chef heraus, während ihm die Felle wegschwimmen, ist eigentlich aber ganz gutwillig, erkennt aber nicht, wie tief der „alte, weiße Mann“ in ihm steckt. Tara Oestreich ist Aline Bergreiter, die geschickt die Diskussion für ihre Zwecke nutzen möchte, sich aber bisweilen damit konfrontiert sieht, dass sie Männern zugeschriebene Privilegien für sich beansprucht. Niclas Kunder ist der Medien-Mensch, der ständig postet, im Inneren aber von Liebeskummer gepeinigt wird - einfach herzig. Katharina Hannappel ist als kesse Pratikantin mit allen Diskussionswassern gewaschen, während Florian Benders Pfarrer mit Super-Iro gekonnt verloren durch die Szenerie geistert.
Am Schluss beweist Ivana Langmajer ihr enormes Gesangstalent und singt ein ergreifendes „Swing low, sweet Chariot“. Danach können alle, auch weil‘s vorher nicht zu hart zur Sache ging, einige Schritte aufeinander zugehen und sich versöhnen. Das Publikum geht angeregt und beschwingt nach Hause. Ach, wäre es in der Realität doch auch nur so einfach.