Übrigens …

Bérénice im Duisburg, Kraftzentrale

Isabelle Huppert hinter Schleiern

Bei ihr sieht man, wenn sie nachdenkt“ ist ein oft wiederholtes Zitat von Jean-Luc Godard über die Ausnahme-Schauspielerin Isabelle Huppert, die trotz aller Verschleierung in der Rolle der Bérénice in der Kraftzentrale Duisburg im Rahmen der Ruhrtriennale zu brillieren vermag. Doch leider bleiben uns in der Adaption der Racineschen Tragödie durch den Italiener Romeo Castellucci viele Feinheiten ihrer Kunst im Bühnen-Nebel und hinter einem hauchdünnen Gazevorhang verborgen.

Castellucci streicht alle Personen des Stücks und fasst den gesamten Dramentext in einem Monolog für die Titelfigur zusammen, den Isabelle Huppert in einem ergreifenden Dramensolo darbietet.

Racines Tragödie in fünf Akten, in kunstvollen Alexandrinern geschrieben, kommt 1670 in Paris auf die Bühne und gehört seitdem in Frankreich zum Theaterrepertoire, während sie auf deutschsprachigen Bühnen höchst selten gespielt wird. Die Geschichte spielt im Jahr 79 n.Chr. und ist historisch verbürgt. In seinem „Préface“ erklärt Racine, durch ein Zitat auf den Stoff aufmerksam geworden zu sein: „Titus entließ die Königin Bérénice, der er sogar die Ehe versprochen haben soll, alsbald aus Rom gegen ihren und seinen Willen.“ Obwohl der Satz den Kern der Liebestragödie zusammenfasst, gibt’s eine etwas ausführlichere Inhaltsangabe auf einem Zettel, der in Duisburg auf jedem Sitz liegt. (Außerdem gibt es an beiden Seiten neben der Bühne Übersetzungen ins Deutsche und Englische, die allerdings erheblich vom Bühnengeschehen ablenken.)

Doch das Vorwort und die ersten Szenen – in denen auch im Original Bérénice noch nicht auftritt – sind gestrichen, stattdessen läuft eine endlose Auflistung von Elementen und Basismetallen in Prozenten, deren Sinn oder Zusammenhang mit dem Stück sich absolut nicht erschließt.

Dann ein Gongschlag, dichter Bühnennebel und kaum erkennbar darin Isabelle Huppert an einer langen glänzenden Ballettstange: die judäische Prinzessin Bérénice, die offenbar soeben von Antiochos , dem Freund des Kaisers Titus, die Botschaft erhielt, dass sie das Land und ihre große Liebe Titus zu verlassen habe. Trotz dieser Schreckensnachricht noch ihrer Liebe sicher, verlangt sie, den Kaiser selbst zu sprechen.

Es beginnt der verzweifelte Kampf um ihre Liebe: Ahnungslosigkeit und Zweifel, Schmerz, Wut und Bitterkeit, endloses Leid bis an die Grenze der Selbstaufgabe, in der die Sprache zu versagen droht, und dann am Ende doch die Kraft zur Entsagung und eigenen Entscheidung. Das alles dramatisiert Huppert in mitreißender Darstellung und großer sprachlicher Gestaltungskraft: die Verkörperung der tragischen Würde einer starken Frau.

Ein Jammer, dass dieses große Schauspiel nicht nur optisch vernebelt und durch Gaze entrückt wird, sondern auch akustisch überdröhnt und elektronisch völlig unnötig verfremdet erscheint. (Sound: Scott Gibbons).

Castellucci unterbricht den Monolog mit diversen Einspielungen: da tritt eine Männergruppe auf, mal in Gewändern, die sie als (mächtige) Senatoren ausweisen könnten, mal auch ganz ohne Kostüme. In einer anderen Szene könnte die tänzerische Pantomime zweier Jünglinge – einer schwarz, einer Weiß – die Kaiserkrönung des Titus imaginieren. Gegen Ende dann etwas aus der Zeit (des Titus) gefallen, ein Tanz mit und um ein großes Holzkreuz.

Ganz heutig und ohne jeden Bezug zum Stück gibt’s von Geisterhand auf die Bühne geschobene Requisiten, wie einen Heizkörper, auf den Bérénice sich vorübergehend stützt, eine elektrische Waschmaschine, aus der sie einen viele Meter langen Schleier zieht (vielleicht ein Hinweis auf die erhoffte und dann verwehrte Hochzeit mit dem geliebten Titus). Ganz sicher nicht als Aktualisierung, eher als Ironisierung zu verstehen. Vielleicht auch sollen diese Banalitäten das Racinesche Pathos entdramatisieren oder gar karikieren, es passt nicht zur Intensität des klassischen Textes.

Nahe am Kitsch dann die riesigen sich entblätternden roten Lilien im Video auf der Bühnenrückwand, während der sonst so ergreifenden Szene am Schluss, wenn die Protagonistin - jetzt im opulenten rotbunten Gewand - nur noch bruchstückhaft die Worte zu setzen vermag, stammelnd ihr Vermächtnis hinterlässt: „ Lasst uns das Beispiel sein der innigsten und glücklichsten Liebe, “ um dann nach diesem elegischen Trauergesang ins Publikum zu rufen: „ Ne me regarde pas!“

Bérénice geht ihren eigenen Weg, akzeptiert die Logik der Macht - nach der ein römischer Kaiser keine „Ausländerin“, schon gar keine fremde Königin, heiraten darf - ohne ihre Würde zu verlieren. Eine „unzeitgemäße“ Geschichte, zeitgemäß erzählt von einer grandiosen Darstellerin, leider in mäßigem Ambiente.