Der betrogene Betrüger
Er kommt direkt aus dem Götterhimmel, der höchste der Götter und rasante Frauenverführer Jupiter, um in der Gestalt des Ehemanns die Liebe der schönen Alkmene zu gewinnen. Und doch ist er nicht der Titelgeber der uralten Komödie vom göttlichen Lustmolch, die seit sie im dritten vorchristlichen Jahrhundert von Titus Maccius Plautus auf die Bühne gebracht wurde, in vielen dramatischen Variationen unter dem Namen des betrogenen Ehemanns, nämlich des siegreichen Feldherrn Amphitryon, bearbeitet und aufgeführt wird. Er also, der scheinbare Verlierer, ist der Protagonist dieser Geschichte - so jedenfalls sehen es wohl die Autoren, und dennoch könnte man in der Bonner Version von Martin Laberenz durchaus auch Alkmene als „Heldin“ sehen.
In einer parodistisch schalkhaften Inszenierung treibt Laberenz durch eine intelligente Bearbeitung der Molière-Vorlage die Geschichte vom Gott, der durch seine Menschengestalt die bestehende Ordnung durcheinander bringt, auf die Spitze. Nicht „zwiefach“, sondern gleich fünffach erscheint in der ersten Szene der brave Diener Sosias auf der Bühne. Fünfmal kommt da jemand in weißem Anzug mit dem Namen Sosias am Silberkettchen, stellt sich mit den immer gleichen Worten vor: „Ich bin der Diener des Amphitryon und heiße Sosias“. Gleich hier beginnt das Identitäts-Labyrinth, das sich mit Täuschung und Missverständnissen durch die Komödie zieht. „Wer oder was bin ich, wenn ich nicht ich bin?“ fragen die Sosias‘ und beginnen zu den Klängen von Stealers Wheels Popsong „Stuck in the Middle with you“ eine Slapstick-Prügelei. Irgendwann schlüpfen die fünf rasant spielenden Figuren (Christian Czeremnych, Lena Geyer, Janko Kahle, Birte Schnöink, Sören Wunderlich) dann blitzschnell in alle möglichen Rollen, die das Stück einfordert. Einer bleibt zurück als Sosias, der ja einen „Auftrag“ hat. Doch bevor er mit dem Molièrschen Einfall beginnt, vor der Lampe , die Alkmene verkörpert (im Original ist es eine Laterne) höchst skurril die Rede und Gegenrede mit der Herrin zu proben, also vor dieser Solo-Nummer, fällt da gleich mehrfach der Name „Heiner Müller“ scheinbar zusammenhanglos. Ein hübscher Gag, ein Hinweis auf Der Auftrag, wenn Heiner Müllers Revolutionsdrama inhaltlich auch weit entfernt ist von der Molièrschen Komödie.
Das Verwirrspiel um Schein und Sein nimmt seinen Lauf, dabei wird die einzige Tür im Kulissengebäude mehr oder weniger sinnvoll kräftig auf und zu geschlagen, wie es sich nun mal in einer Komödie gehört.
Am Ende haben wir zwei fragwürdige Gewinner: Amphitryon bleibt als zweifelhafter Trost die Erhabenheit des Nebenbuhlers: „Mit dem Jupiter zu teilen beschimpft nicht.“ Zeitgenossen Molières sahen darin eine artige Huldigung an den „göttlichen“ Ludwig XIV. und seine Liaison mit der Marquise von Montespan - etwas wie eine mythologische Rechtfertigung der Beziehung - da der „Sonnenkönig“ den Komödienschreiber stets gegen seine Widersacher in Schutz genommen hatte.
Jupiter hatte zwar seine Liebesnacht, nicht aber die ersehnte Liebe der Alkmene gewonnen. Seine anmaßende Unterscheidung zwischen wahrer Liebe zum Liebhaber und Pflichtliebe zum Gatten verwirft die keusche Alkmene als ruchlos. Sie liebt nur ihren Gatten: „Was sie an Liebe gab, gab sie dem Gatten“, resümiert Sosias das Geschehen. Und sie selbst entzieht sich dem Gerangel der Männer - wer auch immer wer sei - bei Laberenz mit der Feststellung: „Ich werde frei sein!“
Da bleibt dem enttäuschten Verführer am Ende nur –- im grünen Glitzeranzug einsam im Raum - zu gestehen, er sei Jupiter, direkt aus dem Himmel - was ihm keiner glaubt und mit lautem Gelächter der vier anderen quittiert wird. Da ihm in dieser Inszenierung niemand seine Götterexistenz abnimmt, erklärt er resigniert, Janko Kahle zu sein und schiebt gleich den Namen des Rivalen im Spiel hinterher: Sören Wunderlich. Den nun nehmen alle anderen auf, da stimmt dann wiederum gar nichts mehr. Da bleibt als Fazit nur: Nichts ist so, wie es sein sollte. Nichts ist so, wie es zu sein scheint.
„Was machen wir jetzt?“ stellen sie alle als Frage in den Raum, nehmen einen Drink zum Beatles-Song „Tell me what you see!“ und beginnen einen Tanz, der unter den Klängen von „Touch sweet Touch“ im Nebel zum Standbild wird.
Interessant ist die Auswahl der Songs, die die Handlung begleiten: so verweist „I’m deranged“ von David Bowie zweifellos auf den Film „Lost Highway“ mit seinen surrealen, verwirrenden Handlungselementen und „Suzanne“ von Leonard Cohen mit seiner „half crazy“ Figur auf die Halb-Verrückten im Wirrwarr der Verwechslungen des Stücks. Mit „Mr. Blue Sky“ vom Electric Light Orchestra mag der himmlische Gast gemeint sein. (Schade, dass die Titel nicht im Programmheft aufgeführt werden.)
Angesichts der verwirrend fragwürdigen Identitäten im Stück stellt Martin Laberenz im Interview die Beziehung zur Gegenwart her, wenn er glaubt, dass es „Einzigartigkeit“ kaum noch geben kann. Er wirft die unbeantwortete Frage auf, ob es sich dabei „um einen Akt von Befreiung oder einen Zustand der Orientierungslosigkeit“ handelt.