Warten auf - ja auf WASWEIßICH?
Bevor es richtig los geht, tönt es aus einem Lautsprecher mitten auf der Bühne, dass hier „an einer Bushaltestelle, an einer Landstraße, in einem Wartehäuschen“ die Schwestern Minka und Magda auf einer Bank sitzen und mit den Beinen baumeln, oder Steine und Dosen kicken, oder Mücken mit der Zunge aus der Luft fangen. Sie warten, warten auf die Erfüllung ihrer Träume, doch warten sie wohl noch nicht lange genug. Auch von einer verlassenen Tankstelle und einer verstaubten Kneipe ist noch die Rede, jedoch nichts von all dem ist auf der Bühne zu sehen. Stattdessen liegen da riesige verwaschene Betonklötze, davor Treibgut und rechts und links zwei mächtige Tetrapoden. Ein verwahrloster Strand, der „Rand von Europa“: der Osten.
Zwei junge Frauen besteigen die Wellenbrecher, stellen sich vor: „Da sind wir, zwei Schwestern in einem Zustand namens Osten.“ In rhythmischer Sprache werfen sie sich Gedankenfetzen zu, befragen das Leben, ihr Leben: „Wir fragen uns: Wenn dieser Rand / Wenn dieses Land / Wenn alles nur Schutt ist, Trümmer einer Idee- / Wir fragen: Was unter den Trümmern ist / Was, wenn wir die Trümmer sind?“ Sie sind in der „Heimat“ geblieben, die sie nun „heimsucht“, langweilt „eben slawisch: Mais und Karotten / Verendende Pferde / Trunkene Jungens. / Wie ist das bloß- / Das andere Leben / Hinter den Feldern / Den Felsen? / Eben irgendwo anders.“
Dann ist Schluss mit der Tristesse, es kommt Bewegung ins Bild: hinter den Betonbrocken taucht ein selbstbewusster junger Mann auf mit einer überdimensionalen Holzkiste im Schlepptau. Es ist der Cousin aus dem „Norden“ mit der Leiche seines Vaters, der vor langer Zeit als Gastarbeiter gen Norden zog und dessen letzter Wunsch, ein Begräbnis in der Heimaterde, von den Frauen erfüllt werden soll. Martha zeigt Verständnis, doch Minka ist absolut dagegen. Sie ist entschlossen, ihn zurück in den Norden zu bringen, an ihm ein Gastarbeitertod-Exempel zu statuieren. Dabei kommt heraus, dass sie selbst vor Jahren vergeblich ihr Glück im Norden suchte.
Die beiden brechen mit der viel zu schweren Kiste auf, doch die Reise geht keineswegs in einen geographischen Norden. Was jetzt geschieht ist völlig absurd, Ort und Zeit sind aufgehoben, die Gruppe befindet sich am „ersten Tag vom Ende der Welt“, als sie einem geflügelten, sprechenden Pferd begegnet, das allerdings in der Aufmachung von Eugenia Leis mehr mit einem Himmelsboten als mit einem irdischen Pferd zu tun hat. Man mag darin einen der vier apokalyptischen Reiter mit seinem Pferd in einer Gestalt vermuten. (Herrlich gegeben von Nicolas Streit, der auch die anderen Männerrollen glänzend spielt.) Irgendwo im Nirgendwo verschwindet das Flügelwesen wieder und während Minka (selbstbewusst: Lou Friedmann) vom Einkauf bei Rossmann spricht, erfahren wir aus dem Lautsprecher, dass die Shoppingmall sich inzwischen pflanzenüberwuchert in apokalyptischem Zustand befindet (Stimme: Katharina Schmalenberg - nicht immer gut verständlich). Auf der Bühne breitet sich jedoch kein Urwald, sondern unappetitlicher Restmüll aus, in dem ein geheimnisvoller Sondergänger Bruchstücke des verschütteten 21. Jahrhunderts einsammelt.
Dann wird’s ekelig: als Martha (Kristin Steffen, im Laufe des Geschehens immer überzeugender) über Hunger klagt, holen die beiden einen (ziemlich realistischen) Männerarm aus der Leichen-Kiste und bieten ein kannibalisches Intermezzo. Darauf könnte man verzichten.
Nachdem die Kiste hochkant gehievt wurde, meldet sich auch noch der Tote zu Wort, im Streit stoßen die unterschiedlichen Lebensentwürfe verständnislos aufeinander. Doch dann: „Minka und Magda drehen sich um, nur einmal um die eigene Achse, und ZACK, sie stehen wieder an der heimatlichen Landstraße“, verrät der Lautsprecher.
Vielleicht war alles nur ein Traum: Doch diesmal ist vieles anders. Ein neuer Aufbruch, jeder für sich.