Übrigens …

Don Quijote im Bonn, Theater

Bulgakow als Ritter von der traurigen Gestalt

Don Quijote heißt der Titel der Aufführung. Wer da die Adaption von Cervantes Ritterroman erwartet, wird irritiert sein. Auch wer weiß, dass Michail Bulgakow 1938 den Roman unter gleichem Titel als Auftragswerk des Moskauer Wachtangow-Theaters auf die Bühne brachte, wird zunächst verunsichert dem Geschehen folgen, denn was der Regisseur Sascha Hawemann in Bonn zeigt, könnte so gut wie mit Don Quijote mit Michail Bulgakow übertitelt sein: er setzt den klassischen Stoff in Bezug zur Biografie Bulgakows und verwebt beides recht turbulent miteinander.

Die Dopplung zieht sich durch die zweistündige Aufführung, und so beginnt der Abend nicht mit dem komödiantischen „Ritter von der traurigen Gestalt“, dessen abstruser Kampf gegen die Windmühlen in die große Literatur eingegangen ist, der zusammen mit seinem tollpatschigen Gehilfen Sancho Pansa auf ihrem Ritt durch die spanische Steppe der Welt die verlorengegangene Gerechtigkeit zurückgeben will, sondern mit der Gestalt des russischen Autors Michail Bulgakow.

Wenn sich der knallrote Vorhang mit kyrillischer Aufschrift öffnet, steht da eine Figur gleich dreifach in dunklem Anzug, weißem Hemd und roter Fliege, die sich dem Publikum ganz förmlich vorstellt als Michail Bulgakow im Moskau des Jahres 1938. Dann beginnt er - mal im Wechsel, mal chorisch - heftig zu klagen: „Nach zehn Jahren bin ich am Ende meiner Kräfte. Abgehängt, unfähig weiter zu existieren. In der UdSSR darf ich weder gespielt, noch gedruckt werden!“ Und er benennt einige der verbotenen Werke. Zunächst die Purpurinsel, eine satirische Allegorie auf den sozialistischen Staat (1928 uraufgeführt, 1929 verboten), dann Hundeherz, eine zynische Satire auf den manipulierten Menschen (1925 verfasst, erst 1987 zur Erscheinung freigegeben) und Die weiße Garde - alle verboten. Eben diese Klagen trug Bulgakow dem „Generalsekretär des ZK der KPdSU Josif Wissarionowitsch Stalin“ persönlich 1930 in einem Brief vor, worin es heißt: „Nach der Veröffentlichung meiner Stücke wurden alle ohne Ausnahme verboten. …Ich habe keine Kraft mehr. Ich bat die Regierung um meine Ausreise ins Ausland. Es wurde abgelehnt. Ich bat um die Zurückgabe meiner konfiszierten Werke. Es wurde abgelehnt.“ Daraufhin rief Stalin den Autor an. Das ist tatsächlich passiert. Auf der Bühne macht Hawemann daraus eine Begegnung der beiden, in der Stalin dem Autor rät, etwas Leichtes zu schreiben für die Genossen in Spanien, die gerade kämpfen. Da bietet sich Don Quijote geradezu an.

Bis dahin ist alles klar. Doch jetzt bedarf es extremer Aufmerksamkeit und genau genommen am besten auch einiger Vorkenntnisse, sowohl über Handlung und Personal der Cervantes-Vorlage, als auch des Bulgakowschen Werks. Immer wieder tauchen in Wort und Bild Hinweise auf diverse Werke auf, so erscheint der Kater aus Der Meister und Margarete mal kurz, findet ohne Vorkenntnisse aber kaum seinen Sinn in der mit viel Klamauk durchgezogenen Tragikomödie. Auch Volant, sein Herr und Teufel, hier wohl eine Metapher für den Schriftstellerverband, sollte man kennen. Besonders der Einschub mit Jesus und Pilatus steht ohne Vorkenntnis beziehungslos im Stück. Hinzu kommt, dass die drei Bulgakows vom Anfang in alle Männerrollen schlüpfen: blitzschnell mit silbrigem Panzer zu Don Quijote oder mit buntgemustertem, vorgebundenem Polsterbauch zu Sancho Pansa wechseln. Kurios, dass das alte Pferd Rosinante in Bonn ein betagtes russisches Moped ist, wenn es auch die Rolle von Cervantes originellem Klepper nicht übernehmen kann.

Stabil durcherzählt ist die Rolle der Jelena - in beider dritter Ehe mit Bulgakow verheiratet - (überzeugend: Ursula Grossenbacher) die dem Autor in dessen schweren Zeiten menschlich und praktisch zur Seite steht. Ergreifend, wenn Bulgakow - erdrückt von Angstzuständen und Depressionen - ihr seine Texte diktiert und sie ihn daran hindert, seine Werke zu zerstören. Tatsächlich brachte sie erst nach dem Tod des Autors seinen großen Roman Der Meister und Margarita heraus, an dem er bis zuletzt arbeitete.

Hawemanns Ansatz, in der Verquickung der beiden Ebenen Bulgakows Idee sichtbar zu machen, dass er gegen geistige Versklavung in einem mörderischen System kämpft, wie Don Quijote gegen die spanische Wüste und Windmühlen, ist interessant und überzeugend.

Da stellt sich allerdings die Frage: Warum so viel Verwirrung, soviel Turbulenz, soviel Klamauk bei einem so ernsten Thema?