Übrigens …

Man muss sich Mephisto als einen glücklichen Menschen vorstellen im Schauspielhaus Düsseldorf

Saufen, Raufen, Rammeln mit Gründgens und Mann

Claudius Steffens spielt Klaus Mann. An dessen „Mephisto“-Roman hangelt sich Jan Bonnys Inszenierung Man muss sich Mephisto als glücklichen Menschen vorstellen am Düsseldorfer Schauspielhaus entlang. Er bietet dem Publikum eine Orientierungslinie, wenn der Regisseur des Abends die Orientierung mal wieder verliert. Dafür gibt es auch einen Erzähler, und sinnvollerweise übernimmt der Schauspieler, der den Schriftsteller verkörpert, auch die Rolle des Navigators durch das ein wenig chaotische Szenengefüge. Das ist eine gute Entscheidung. Dass Steffens allerdings ständig mit Mephisto kopulieren muss, ist eine fragwürdige. Mephisto - das ist in Manns Roman der Schauspieler und Theaterleiter Gustaf Gründgens, dem der Schriftsteller in seinem Werk den Tarnnamen Hendrik Höfgen verpasst und den er selbstverständlich nie gemeint hat. Gründgens, für kurze Zeit mit Erika Mann verheiratet, war Klaus Manns Schwager. Und: ja, Gründgens hatte homosexuelle Neigungen. Auch Klaus Mann war schwul. Sie mögen einander erst in Liebe, dann in Hass oder von Beginn an in Hassliebe verbunden gewesen sein - permanent gevögelt haben sie wahrscheinlich nicht.

Dass Gründgens schwul war, wusste man schon zur Nazizeit. Man durfte es aber nicht sagen. Klaus Mann versteckte diese Tatsache in seinem Roman hinter Sadomaso-Andeutungen. Wer Istvan Szabos „Mephisto“-Film gesehen hat, erinnert die schillernde, faszinierende Figur der von Karin Boyd gespielten Juliette Martens, Hendrik Höfgens „Herrin“. Im Film hatte sie in kurzen Szenen große Momente. In Jan Bonnys Inszenierung dagegen schaffen endlose Masturbations- und Sexszenen zwischen Höfgen und seinem Schöpfer resp. zwischen Gründgens und Klaus Mann sowie mit mehr oder weniger allen anderen Bühnenfiguren ausgesprochen kleingeistige Momente. Die aber nehmen gefühlt circa 20 Prozent der gut 100minütigen Spieldauer in Anspruch. Was vor 30 Jahren vielleicht noch provozierte, wirkt heute infantil. So wie auch die permanenten Besäufnisse oder die vielen prolligen Auftritte der souverän darüber hinwegspielenden Schauspieler.

Dabei hat der Regisseur durchaus eine Message. Von den 1930ern bis 2024 reiche die Geschichte, die das Team erzählen wolle, erläutert Erzähler Steffens zu Beginn der Aufführung. Eine bergarbeiterbehelmte Gruppe Alternativer Steiger werkelt unter dem AfD-Logo vor sich hin und gräbt einen Tunnel vom Kyffhäuser-Denkmal direkt ins „Institut für Staatspolitik“ des selbsternannten Vordenkers der Neuen Rechten Götz Kubitschek in Schnellroda. Gründgens, der einstmals mit der Linken sympathisierte und dann mit den Granden des Nazi-Regimes paktierte, um seine Karriere-Ambitionen weiterzuverfolgen, der nach dem Krieg wie so viele Altnazis und Kollaborateure im demokratischen Deutschland schnell wieder in entscheidende Positionen aufrückte, dem im theaterverliebten Düsseldorf die Herzen zuflogen und den heute noch viele ältere Zuschauer als ihren Helden verehren - er repräsentiert nach Auffassung des Regie-Teams mutmaßlich eine deutschlandtypische Geschichte von Verdrängen und Vergessen. Und dieses Verdrängen und Vergessen der Geschehnisse zwischen 1933 und 1945 sieht das Team wohl fortgesetzt in den 16 % AfD-Wählern, die heute wieder Parolen ausgeben, die denen des nationalsozialistischen Regimes gleichen.

Vermutlich wählen weit weniger als 16 % der Düsseldorfer Zuschauerschaft die AfD, aber der Heldenstatus des ehemaligen Generalintendanten des Düsseldorfer Schauspielhauses erscheint beim älteren Theaterpublikum ungebrochen. Dabei gehörte der Mann ja eigentlich zum Team Restoration: Sein Nachkriegs-Theaterstil war eher konservativ als erneuernd, und sein damaliges Pathos möchte heute niemand mehr sehen, was allerdings keinesfalls alle Düsseldorfer Zuschauer glauben. Aber Gründgens als Vorläufer der AfD-Wähler? Doch wohl kaum. Vielleicht war ein Grund für die Zuneigung des Nachkriegs-Publikums, dass er künstlerische Kontinuität verkörperte. Aber vor allem war der Mann gut - vermutlich als Intendant, sicher als Schauspieler. Die so zynische wie wahre Weisheit, die der Rezensent in seinem früheren Leben als Personalleiter gewann, gilt wohl auch im Theater: Gute Leute sind überall gut, ob bei den Nazis, in den kommunistischen Diktaturen oder in der Demokratie. Ein Dasein als Wendehals hilft im Falle krasser politischer Brüche allerdings bei der Karriereplanung…

Die Alternativen Steiger sind eigentlich auch gut - zumindest sind deren regelmäßige Auftritte eine witzige Idee, der der Rezensent gerne gefolgt ist. Das Chaos auf der Bühne, der Klamauk und der Trash, die wilde, laute Inszenierung, das häufige Aussteigen der Schauspieler aus ihren Rollen - vieles davon erinnert an die Inszenierungen von Frank Castorf vor circa 25 Jahren (nicht die ganz frühen, die waren noch geordneter!). Auch der Meister nervte, wenn man ehrlich ist. Bloß: Castorf war nicht gar so sexbesessen, und vor allem waren seine Dekonstruktions- und Zertrümmerungspraktiken elaborierter und von einem Hauch Genialität durchdrungen. Gute Leute sind eben auch beim Zertrümmern gut. Beim Düsseldorfer Mephisto bleiben Scherben, die scheinbar nie zu einem Ganzen gehört haben. Einige wenige dieser Scherben funkeln noch: zum Beispiel die wenigen leisen, nachdenklichen Szenen, die das Team in homöopathischen Dosen eingebaut hat, oder der Moment, in dem Göring (Cathleen Baumann) im Gespräch mit dem Mephisto Höfgen/Gründgens selbst etwas Mephistophelisches bekommt - da findet beinahe eine Art Rollenumkehr statt. Auch einige Momente, in denen die Hybris von Höfgen/Gründgens nicht veralbert, sondern glaubwürdig dargestellt wird, verdienen Aufmerksamkeit. Ein großes Ganzes wird nicht daraus, denn stets wird mehr Porzellan zerschlagen als gekittet.

Das Ensemble schlägt sich gut in all dem Klamauk. Mila Moinzadeh als rheinisch nörgelnde Mutter Höfgen, die ihren Hendrik trotz seines kometenhaften Aufstiegs offenbar für einen solchen Knallchargen hält wie ihn Bonnys Aufführungskonzept aus allen Figuren zu machen droht, zeigt eine kabarettistische Glanznummer. Claudius Steffens gibt Klaus Mann als Erzähler und Akteur überzeugend und wandlungsfähig. Phänomenal aber ist vor allem, mit welcher Selbstverständlichkeit und Souveränität die blutjunge Blanka Winkler den ganzen Kokolores mitmacht. Mit großer Selbstverständlichkeit gibt sie den rammelnden Hund als wäre es das Sauberste der Welt. All die Peinlichkeiten der Szenen, in denen sie mitwirken muss, scheinen sie in ihrer Schauspielerinnen-Würde nicht zu tangieren. In Würde trägt sie auch den Zauberhut trägt, der sie in ihrer Rolle als Thomas Mann definiert. Mit scheinbar schmunzelnder Distanz, aber auch einer Prise Mann’scher Arroganz nimmt sie ihren Beobachterposten am rechten Bühnenrand ein und zieht, obwohl sie eine der Stilleren im Lande Bonny ist, die freundliche Aufmerksamkeit des ansonsten genervten Publikums auf sich.

Der Rest ist Trash. Sind triviale Provokationsmittel von anno Dunnemals. Man ist laut, man säuft, man vögelt und gibt sich hässlich. Langeweile kommt nicht auf - es ist ja immer was los. Als Zuschauer ärgert man sich ob der mangelnden Subtilität der Aufführung, aber Ärgern ist ja besser als Langeweile. Man rätselt dann halt über das irgendwie schöne, aber auch unlogische Bühnenbild von Axel Wissel. Neben vielem herumliegendem Kleinzeugs (Bierdosen - die Manns und die Gründgens haben ja bei Bonny kein Weinlaub im Haar und müssen mit billigeren Alkoholika vorlieb nehmen) wird es von einer Spiegelwand und von zahlreichen Grabsteinen dominiert. Spiegel, na klar: Narzissten waren sie allesamt, der alte Thomas Mann, der Gründgens, der Höfgen, der Göring, die Lotte Lindenthal und ihr wahres Ich, dem Göring seine Emmy. Die Grabsteine stellen vor unlösbare Rätsel: Klaus Mann, klar, ist tot und einer der Protagonisten des Abends. Bernd Eichinger ist auch tot, und der arme Kerl wird heute völlig zu Unrecht vor allem mit seinem eindrucksvollen Hitler-Film in Verbindung gebracht. Der großartige Film ist in manchen Kreisen so umstritten wie Gustaf Gründgens. Aber was macht Martin Kippenberger in dieser Reihe? Na gut, einige seiner Kunstwerke haben sich mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt, und der große Ironiker veralberte seine eigene Kunst so wie Bonny seine Inszenierung. Doch warum verwandelt sich das Grabmal von Bernd Eichinger in das von Olaf Scholz? - Das Todesdatum des Kanzlers hat man netterweise offengelassen. Die Kanzler-Dämmerung spielt in der Inszenierung keine Rolle.

Und dann ist da noch der Galgen. Der steht am rechten Bühnenrand und erinnert ein wenig an den Todesschlitten in Ivo van Hoves Romeinse Tragedies aus dem Jahre 2007 (siehe hier): Wer starb, legte sich in Amsterdam auf den Schlitten und wurde aus dem Blickfeld transportiert. In Düsseldorf steigen die Sterbenden auf den Galgen, legen sich die Schlinge um den Hals und ziehen sie zu. Im realen Leben sterben die beiden einst unglücklich einander zugetanen Antagonisten an einer Überdosis Schlaftabletten. Klaus Mann, von der Mann-Familie als schwarzes Schaf gebrandmarkt, ist einsam, suchtkrank und leidet an einer Schreibblockade. Gustaf Gründgens stirbt in einem Hotelbett in Manila. Ein Versehen? Ein Suizid? Man weiß es nicht. Aber man darf sich Gustaf Gründgens sicher nicht als glücklichen Menschen vorstellen.