Der Vermieter als Philosoph
Die Wohnung ist ebenso geräumig wie günstig. Ein Schnäppchen. Kein Wunder, dass Bewerberinnen und Bewerber Schlange stehen. Die Besichtigung läuft im Schichtbetrieb. Doch weckt der Makler bei Mieterinnen und Mietern in spe Zweifel. Der junge Mann agiert allzu unbedarft und linkisch. Bald stellt sich heraus, er ist des Wohnungseigentümers gänzlich fachfremder Neffe. So drehen denn die gewieften Interessentinnen und Interessenten den Spieß um, sind sie doch Erfolgsmenschen mit eigenem Immobilienbesitz. Die Wohnung lockt, weil man sich vom Partner getrennt hat oder ein künftiges Domizil für die Tochter sucht. Der verschlagenste Bewerber will zunächst mieten, dann den Eigentümer zum Verkauf überreden, um sich ein Spekulationsobjekt unter den Nagel zu reißen. Nur zwei Freundinnen fallen mit ihrer Absicht, eine WG zu gründen und ihrer Geschäftsidee, gemeinsam mit alten Leuten zu kochen, aus dem Rahmen.
Gut und schön, bis hier hin servieren Hübner und Nemitz ein im vorvergangenen Jahr am Schauspiel Bonn uraufgeführtes Well-Made-Play in ihrer typischen Manier. Selbstredend sitzen die scharfsinnig zugespitzten Dialoge. Das immer wieder zitierte „Büdchen“ um die Ecke deutet rheinisches Flair an. Plot und Wortgefechte laufen auf versiertes Handwerk hinaus, streifen gar das Boulevardeske. Gelegentlich reicht es zur Intensität von Hauptwerken des stückeschreibenden Duos wie „Frau Müller muss weg“ oder „Furor“. Regisseur Alexander Marusch bietet auf solcher Basis ausgezeichnetes Schauspielerinnen- und Schauspielertheater. Marusch eröffnet den Spielenden jede Option, sich effektvoll in Szene zu setzen. Das Ensemble nutzt sie nach Kräften. Der das Maklersurrogat Martin Brockes verkörpernde Paul Enev sorgt für die atmosphärische Schräglage, von der die Handlung zehrt. Doch ob nun Anja Syrbe als Elektronikfachhändlerin Elke Özdamar, Manuela Stüßer als Managerin Hanna Mierau, Leonard Lange in Gestalt ihres abgelegten Gatten Jan oder Katharina Otte und Ewa Noach als Freundinnen Berenice Vendel und Sina Hindelang, sie alle brillieren inmitten des von Christiane Hercher mit wenigen Versatzstücken angedeuteten Objekts der Mietbegierde.
Freilich scheint das Stück vornehmlich um des Wohnungseigentümers Benedikt Goldmann willen geschrieben. Der Diplomat a.D. residiert in einem weiteren Appartement desselben Hauses. Der soignierte Herr im Rollstuhl ist ein Pflegefall, doch uneinsichtig, was die damit verbundenen Einschränkungen betrifft. Seine Betreuung wäre conditio sine qua non - mithin Haken - des Mietverhältnisses. Kaum hat der Exdiplomat mit einerseits besten Manieren und andererseits zielsicherer Direktheit die Mietkandidatinnen und -kandidaten begrüßt und Kurzinterviews unterzogen, geraten diese in Zweifel ob ihrer Ambitionen. Goldmann, bei aller Hinfälligkeit Menschenkenner durch und durch, empfindet sich zu einem ebenso bissig-charmanten wie utopischen Monolog herausgefordert - oder besser einer geradezu philosophischen Conférence, in der er jede und jeden auf die Plätze verweist. Wobei die vermeintlich chancenlosesten Bewerberinnen, nämlich die künftigen Alteleutebekocherinnen Berenice und Sina zu Goldmanns neuen Mieterinnen avancieren. Der Diplomat a.D. ist wie für Gernot Schmidt geschrieben. Kultiviertheit, Hinfälligkeit, Scharfsinnigkeit und anrührende Menschlichkeit geben sich bei Schmidt die Klinke in die Hand. Bisweilen liegt Shakespearische Größe in der Luft.