Vom Jahrmarkt - zum Hof - ins Stadttheater
Der eiserne Vorhang hebt sich und wie ein riesiger Scherenschnitt erscheint im Halbdunkel auf der Bühne ein raumgreifendes Treppenhaus vom Keller über vier Etagen nach ganz oben ragend. Auf Treppen und Zwischenplateaus verstreut hocken diverse Figuren, die ein „Tüdeletü- tüdeletü…“ anstimmen, dabei in Bewegung geraten und trotz aufsteigenden Bühnennebels immer erkennbarer werden. In der Mitte des Ganzen erstrahlt ein goldgerahmter Kubus, in dem der Herr des Hauses, der titelgebende Geizhals Harpagon, gleich anhebt herumzukommandieren: einen Fleck entdeckt, doch zugleich fordert, „weniger Wasser“ zu benutzen. Sofort beginnen die drei Lakaien auf Knien rutschend zu wischen und zu wedeln, doch hören sie dabei nicht auf, das Geschehen im Haus höchst neugierig zu beobachten, wenn ihnen der Autor auch – wie häufig in seinen Stücken – nur eine stumme Rolle zugeschrieben hat. Die Regisseurin Bernadette Sonnenbichler gestattet ihnen in Düsseldorf allerdings, bei wenigen chorischen Einschüben den Mund aufzumachen.
Harpagon knausert mit allem, so auch mit seiner Kleidung: in seinem abgetragenen dunklen Mantel, den zu kurzen Hosen, die die Strumpfhalter freigeben, und der leicht zerzausten Perücke wirkt er eher abgetakelt, da hilft auch das gelbe Seiden-Jabot nichts, das ein wenig die Tracht der Molière’schen Zeit zitiert. Wenn er dann aus Knickerigkeit Mantel und Perücke meistens ablegt, um sie zu schonen, bleibt nichts als ein hässlicher alter Haustyrann, den sich Molière (Autor und Schauspieler zugleich) bewusst auf den Leib schrieb und den Thomas Wittmann grandios wiedergibt.
Ansonsten verweist weniges in der großartigen Inszenierung Sonnenbichlers auf die geschichtlichen Hintergründe des Stücks, vielleicht noch die angedeuteten Reifröcke, von denen allerdings die Plastikgestelle eindeutig in unsere Zeit ragen. Überhaupt sind die Kostüme eher verrückt-zeitlos mit leichtem retro-futuristischem Effekt, vorwiegend schwarz-gelb und bestens geeignet für die akrobatischen Körperspiele der jungen Generation im Stück und deren Slapsticks im Gestänge des Treppenhauses.
Bei aller Zeitlosigkeit der Problematik von Geiz, Habgier, Wucher und Egomanie – Moliere nahm selbst in seinem Stück Anleihe bei der Komödie Aulularia (Goldtopf) des römischen Dichters Plautus – schafft die brillante Übersetzung von Heike Frank eine dezente Aktualisierung bis hin zur Jugendsprache, denn neben der Kritik an den Charakterschwächen des Alten gibt es da ja noch ein echtes Generationenproblem, das sich zwar aus der Geldgier des alten Harpagon ergibt, doch in der Inszenierung eine Eigendynamik gewinnt. Dazu bleibt Spielraum, denn der alte Geizkragen muss immer wieder – voll Misstrauen gegen alle im Haus – in den Keller hinabsteigen, um sich seiner Geldkiste zu versichern, in der er in Düsseldorf eine Million versteckt hält (bei Molière sind es 10.000 Goldécus).
Im Laufe des Stücks gibt’s alles, was zu einer guten Komödie gehört: die Schwächen werden nicht mit Bitternis, sondern höchst amüsant aufgezeigt, dazu kommen sprachlich und spielerisch rasant dargebotene Missverständnisse (übrigens in diesem Stück ausnahmsweise alles in Prosa), Verwechslungen und sogar angedeutete Prügeleien. Am Ende dann der Deus ex machina: die Liebe siegt (scheinbar)über die Habgier.
Die Tochter Élise muss nicht den vom Vater ausgesuchten reichen alten Neapolitaner und der Sohn Cléante nicht die reiche alte Witwe heiraten, sondern beide bekommen ihre große Liebe. Allerdings sind beide Erwählte inzwischen auch nicht mehr die vermuteten armen Schlucker - Valère der doppelzüngige Diener und Mariane eine arme, aber schöne Witwentochter – sondern Geschwister und Kinder des steinreichen und grenzenlos großzügigen Neapolitaners Anselme, die sich alle nach einem Schiffsunglück aus den Augen verloren hatten und nun wiederfinden. Andreas Grothgar gibt den Retter in der Not ganz in Gold gekleidet als strahlenden Gegenpol zum verhärmten Harpagon, der am Ende seine Million zärtlich umarmend am Bühnenrand hockend ausruft:„Mein geliebter Schatz“, während alle anderen im Hintergrund zu feiern beginnen.
Wenn Goethe sagt: „Moliere züchtigt die Menschen, indem er sie in ihrer Wahrheit zeichnet“, so bleibt doch als Fazit: Dieser Geldfetischist Harpagon hat nichts dazugelernt.