Übrigens …

Helena oder Stay safe and sorry im Theater Münster

Zwischen Walen und Waschbären

Troja war gestern - in der Antike. Würde sich heute eine schöne Helena vom fremden Schönling Paris entführen lassen, so ginge die Reise nicht ans andere Ende des Mittelmeers, sondern weit über den Atlantik. Gottlob müsste der gehörnte Gatte Menelaos keinen Krieg mehr anzetteln, um die geliebte Frau vom Kreuzfahrtschiff zurückzuholen: Eine Fülle von Telefonaten und eine Reise auf die Bahamas reichten aus. Doch damit sind die Probleme nicht aus der Welt.

Selma Kay Matter, Autor/Autorin aus Zürich, lässt Helena im gleichnamigen Stück mit dem Untertitel „Stay safe and sorry“ im kühl-meerblauen Heim von Menelaos stranden: Der Mann ist happy und sucht die Zurückgeholte kulinarisch zu verwöhnen, die Titelheldin aber ist durch die Erfahrungen der Reise verwandelt. Dass sie den Mett-Igel verschmäht, kann er noch verstehen und entsorgt die Nahrungsmittel kurzerhand im Müll. Doch auch mit dem eigens georderten Hummer hat sie ein Problem: Sie hört ihn im kochenden Wasser schreien. Ein Erlebnis ihrer Reise wurde zum entscheidenden Moment: Durchs Bullauge des Kreuzfahrtschiffs blickte sie einem Pottwal ins Auge, der dann am Strand verendete. Helena sieht immer deutlicher, wie der Mensch mit anderen Kreaturen umgeht. Und möchte am liebsten gar nichts mehr essen, womöglich gar, der Umwelt zuliebe, gar nicht mehr atmen.

Selma Kay Matter löst die globalen Themen, die das in Münsters Studio uraufgeführte Stück behandelt, in einer Reihe teils skurriler Szenen auf. Wodurch der gut 80 Minuten kurze Abend zugleich eher kurzweilig als thesenlastig ausfällt. Das liegt natürlich auch am Zugriff der Regisseurin Alina Fluck, die den Gegensatz der beiden Figuren beherzt ausspielen lässt und den Humor des Textes betont. So kann Clara Kroneck die Heldin als gewitzte Frau zwischen Welt-Empathie und trotzigem Aufbegehren zeichnen, erfreulich frei von moralisierendem Pathos. Ihrem Widerpart Menelaos spendiert Artur Spannagel eine perfekt naive Geradlinigkeit, die er zu beißender Aggression steigert, wenn es um den Kampf gegen eine verhasste Spezies geht. Dritter im Bunde ist Christian Bo Salle mit den Nebenrollen, zu denen auch die Tiere gehören: Bei seinem schrägen Hummer-Auftritt schießt die Regie etwas übers Ziel hinaus, weil das erbarmungswürdige Schreien den wichtigen Text des Menelaos zum Tierhandel übertönt. Nebenher reichern Dokumentarfilm-Schnipsel die Bildhaftigkeit des Textes um Wale und Waschbären an.

Die von Menelaos gehasste Spezies nämlich ist der Waschbär, der sich ungehemmt ausbreitet und längst nicht so putzig ist, wie sein Äußeres suggeriert. Schön ist die Schießbudenszene, die die Regie ihm gönnt und die im denkbar größten Gegensatz zum Verhalten Helenas steht: Ihr Mitfühlen für jegliche Kreatur führt schließlich zur Waschbären-Metamorphose. Und während Menelaos bei einem Tankwart Benzin für ein großes Vernichtungs-Inferno besorgt, lässt sich Helena von einem Copyshop-Angestellten T-Shirts mit einem Mitleidsbild für Waschbären drucken - zwei hübsche Comedy-Szenen vor Helenas bewegendem Schlussmonolog.

Helena ist in allem, das sagt sie zuvor über die globale Verantwortung des Menschen. Auch für diesen Furor einer Aktivistin erntet Clara Kroneck, wie das gesamte Team samt Selma Kay Matter, großen Premierenbeifall.