Unausweichlich in den Untergang
Einer hölzernen Fischreuse gleicht die Bühne: In ihr zappeln die Fische und treiben immer weiter auf das sich verjüngende Ende zu. Wie sie sich auch wehren mögen - es gibt kein Entrinnen. Und genauso geht es dem Personal in Arthur Millers Tod eines Handlungsreisenden. In der Familie Loman sind die Rollen festgelegt: Vater Willy ist der Patriarch, dessen Meinung Gesetz ist, Linda managt den Haushalt. Die Söhne Biff und Happy haben das zu verwirklichen, was der Vater für sie bestimmt hat. Was aber passiert, wenn dieses System Löcher bekommt, nie Hinterfragtes plötzlich zur Disposition steht? Da bröckelt der Putz, der alles noch notdürftig zusammengehalten hat, gnadenlos Stück für Stück. Für die Familie Loman hätte es Lösungen gegeben für alle Probleme. Doch dafür hätten alle ehrlich sein müssen; sich aus dem eingeübten Rollenverhalten hinaus bewegen und den schützenden Panzer, den alle aufgebaut haben, verlassen. Genau das aber würde sie angreifbar machen und die Verletzungen, die alle erlitten haben, zu Tage treten lassen. Stattdessen sind alle in der Reuse gefangen und werden sich nicht befreien können.
Regisseur und Bühnenbildner Jakob Weiss befreit den Tod eines Handlungsreisenden aus den engen, piefigen 1950er Jahren, legt den Fokus seiner Arbeit auf das Ausleuchten der Charaktere. Und vergisst dennoch nicht, den immensen gesellschaftlichen Druck auf seine Figuren einzubeziehen. Raphael Rubino ist Willy Loman, Oberhaupt seines „Clans“ und unbestritten das Alpha-Tier. Doch diese Stellung ist bedroht, sinkt doch sein Erfolg als Handlungsreisender stetig und schnell. Das bedroht seine Stellung in der Familie und deshalb versucht er, seinen Misserfolg zu verheimlichen und lebt „business as usual“. Das gelingt ihm nicht ganz. Rubino gestaltet sensibel einen Willy, der bisweilen sich nicht mehr in der Gewalt hat, sondern schreit, tobt und weint und ab und an Realität und Wunschvorstellung vermischt.
Eigentlich hat Carola von Seckendorff als Ehefrau Linda alles im Griff - den Haushalt und die Schulden bei der Bank. Sensibel, ruhig und gänzlich ohne Hysterie versucht sie, Willy aus seinem Schneckenhaus zu locken. Denn sie ahnt, dass er vor hat, seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch auch sie ist hilflos - gefangen in einem Wust von Normen und Axiomen, die sie lähmen, statt ihr zu helfen.
Happy ist fein raus. Er befriedigt die Ansprüche, die sein Vater stellt, nonchalant mit einer duftigen Lüge auf den Lippen. Wie ein Baum im Wind wartet Julius Janosch Schulte auf Reaktionen Willys, um diesen biegsam auszuweichen. Das kann Biff nicht. Ansgar Sauren wäre lieber Landarbeiter geblieben, statt sich in der Geschäftswelt zu tummeln. Als der letzte - dem Vater zuliebe - unternommene Versuch, dort unterzukommen scheitert, will er es nicht mehr verschweigen, sondern sucht die Aussprache mit dem Vater. Doch der hat sich längst vom Dasein verabschiedet, nachdem alle Pfeiler, auf denen er sein Leben gebaut hat, eingestürzt sind.
Unglaublich sensibel und zart setzt Jakob Weiss seine Figuren in Szene, gestaltet jeden Dialog mit Überlegung und detailreich. Die Figuren kommen deshalb dem Publikum sehr nahe, ja frappierend nahe. Eine Inszenierung, die gefangen nimmt und nach dem Besuch eine lange Zeit wirkt. Das Premierenpublikum lässt sich in den Bann schlagen, folgt während der zwei Stunden mit großer Aufmerksamkeit der Handlung. Am Ende entlädt sich die sich stets aufbauende Spannung in frenetischem Applaus. Ein Abend, der ergreift und den Besuch im Theater Münster lohnt.