Übrigens …

Unser Deutschlandmärchen im Theater Münster

Eine Stimme für starke Frauen

Das haben sie gemeinsam, die Frauen der ersten Migrationsgeneration: Über sie wurde der Mantel des Schweigens gedeckt, kommen in der Geschichtsschreibung nicht vor oder höchstens als Randnotiz. Mit Unser Deutschlandmärchen hat Dincer Gücyeter einen Schritt dahin getan, das zu ändern. Hier erzählt er die Geschichte seiner Mutter und mit ihr die vieler Frauen, die aus ihrer Umgebung heraus gerissen, in Deutschland mit viel schwerer Arbeit, Zurückweisungen und Enttäuschungen konfrontiert wurden und dennoch nie aufgaben.

Gücyeters Text fasziniert vom ersten Wort, zieht magisch an, zwingt zur Auseinandersetzung mit dem Thema. Das liegt vor allem daran, dass er im wahrsten Sinne des Wortes nicht greifbar ist. Da gibt es völlig geerdete, narrative Passagen. Die vermitteln die scheinbare Sicherheit einer linearen Erzählweise. Doch kaum hat man es sich „bequem“ gemacht, lauscht das Publikum der Geschichte, die auch schon mal rustikal sein kann. Dann entgleiten die Worte, verändert sich ihre Gestalt hin zu wunderschönen Lyrismen; bisweilen kann man sie mehr fühlen denn begreifen. Das ist verwirrend, aber es ist gerade das Polymorphe, das immer wieder zielgerichtet auf das Los der Frauen zurückführt, obwohl der Autor auch Einiges über sein Leben preisgibt.

Im Wesentlichen aber sind Männer zum Schweigen verurteilt und so kann uns Fatma von vielen Jahren schwerer Arbeit berichten, die gesundheitlich irgendwann ihren Tribut fordert, wir erfahren von Entwurzelung, die auch Geld und Besitz nicht heilen können. Aber wir hören auch von Mut und Entschlossenheit, nach Niederlagen nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen oder neu anzufangen.

Ruth Mensah konzentriert sich in ihrer Inszenierung völlig auf die Rolle der Frauen. Das Zusammenleben von „Deutschen“ und „Gastarbeiter:innen“ spielt da erstmal keine große Rolle. Und das ist eine durchaus legitime Herangehensweise, denn der Text erlaubt Zuspitzungen, fordert sie fast heraus. Gerade deshalb gelingt Mensah eine absolut gerundete Bühnenversion von Unser Deutschlandmärchen. Die ist aufreizend, berührt die Nervenbahnen und nimmt mit.

Stark wie der Text sind auch die Frauen, die ihn auf die Bühne bringen: Agnes Lampkin, Katharina Rehn und Daryna Mavlenko lassen keine Zweifel an ihrer Kraft. Letztere besonders, wenn sie zur E-Gitarre greift. Da vibriert die Bühne geradezu. Warum sie allerdings als Chimären daher kommen, bleibt im Ungefähren und wird nicht erklärt.

Und dann ist da Fatma, die Mutter des Autors. Ihr gibt er Worte, um ihre Geschichte zu erzählen. Melek Erenay scheint in sich selbst zu ruhen, hat alle Katastrophen ihres Lebens gemeistert, scheint bereit, sich neuen Herausforderungen zu stellen.

Ein wahrer Wirbelwind ist der einzige Mann im Bühnengeschehen:Alaaeldin Dyab ist der Autor, dessen Gedanken wirbeln, sich über sein Zuhause erheben und größer werden. Und doch bleibt er verhaftet in dem, was seine Mutter ihm gegeben hat, versucht dem Sprache und Ausdruck zu verleihen

Das war ein starker Theaterabend, den das Publikum zu Recht stehend feiert.