„Was im Raum steht, ist sexueller Missbrauch.“
Marius von Mayenburg lässt uns in seinem Stück Ellen Babic Einblick nehmen in die Beziehungen zwischen einem Vorgesetzten, hier der Schuldirektor Wolfram, und seiner Untergebenen, der Lehrerin Astrid. Welche Motive hat Wolfram, an diesem Abend Astrid zu besuchen, die mit ihrer ehemaligen Schülerin Klara in einer lesbischen Beziehung zusammenlebt? Will er sie wirklich nur gegenüber falschen Anschuldigungen aus der Elternschaft, die nach einer Klassenfahrt nach Trier erhoben wurden, schützen? Ist sein Besuch in der Wohnung der zwei Frauen nur dienstlich begründet?
Wir sehen ein relativ neutrales Wohnzimmer, in dessen Mittelpunkt ein großes, rotes Sofa steht. Im Hintergrund Schrankwände mit diversen Fächern. Astrid erwartet ihren Chef, um ein dienstliches Problem zu besprechen, sie ist nervös, da sie keine Ahnung hat, worum es geht. Klara sieht die Notwendigkeit dieses Besuchs nicht ein, egal, worum es sich dreht. Aber da steht Wolfram schon in der Tür und versucht, betont neckisch, witzig aufzutreten. Wein wird die ganze Zeit reichlich konsumiert, was mit dazu beiträgt, die Situation ausufern zu lassen. Schließlich gießt ihm Klara eine Flasche über den Körper, ist sie doch seine Anspielungen und Anschuldigungen gegenüber Astrid leid. Wolfram spielt darauf an, dass Astrid auf der Klassenfahrt ihre Schülerin Ellen, die Opfer eines üblen Trinkgelages geworden war, nicht nur selbstlos betreut hat: „Sexueller Missbrauch steht im Raum.“ Schnell wird jedoch klar, dass er selbst immer schon versucht hat, Astrid anzumachen trotz seiner Feststellung: „Schade, dass du eine Lesbe bist.“ Florian Lange spielt Wolfram grandios schmierig, von sich und der Dominanz der Männer überzeugt, aber zugleich auch als einen unsicheren Mann, der viel lieber Musiker als Beamter geworden wäre („Die Orgel ist mein Instrument.“). Astrid (Claudia Hübbecker) ist die lesbische Lehrerein, die mit Klara (Pauline Kästner) zusammenlebt. Empört weist sie Wolframs Anschuldigung, die er angeblich von Ellens Eltern übernommen hat, zurück. Sie hätte definitiv die missliche Lage der Schülerin nach deren Besäufnis nicht ausgenutzt, als sie sie fürsorglich in ihrem Bett schlafen ließ und selbst das Sofa in dem Zimmer wählte. Wolfram unterstellt ihr jedoch sexuellen Missbrauch und dass sie schon Klara so in ihre „Liebesfalle“ gelockt habe. Astrid wehrt sich und wirft ihm ihrerseits jahrelange sexuelle Belästigung ihr gegenüber vor. Als er ihr mit dem Gericht droht, behauptet sie, alle seine Zudringlichkeiten genau protokolliert zu haben. Später öffnet sie den Wandschrank und nichts ist zu sehen. Ein gelungener Bluff scheinbar. Klara ist die Einzige an diesem Abend, die findet, dass die Lügen ein Ende haben müssten. Hat doch Astrid verschwiegen, wie sie sich nähergekommen sind. Daher gießt sie wütend zwei Flaschen Wein über Wolfram aus, der wie der sprichwörtliche begossene Pudel schließlich die Wohnung verlässt. Auch Klara zieht für die Nacht – ob länger, das bleibt unklar – zu einer Freundin.
Ein absolut faszinierender, sehr facettenreicher Abend, ein Psychodrama. Viele Klischees und Vorurteile werden als falsch entlarvt. Sprachlich gekonnt und mit viel Wortwitz gewürzt. Nicht zu vergessen das herausragende Schauspielertrio, das dazu beiträgt, dass man den Abend nicht so schnell vergisst.
Zu Recht langer heftiger Applaus und Standing Ovation.