Übrigens …

Istanbul im Schauspiel Essen

Migration mal anders gesehen

Am Essener Grillo-Theater kam der Liederabend Istanbul von Selen Kara, Torsten Kindermann und Akin Sipal zur Aufführung und wurde mit Begeisterung gefeiert. Mit Songs von Sezen Akzu erzählt er die Geschichte der „Gastarbeiter“, die als „temporäre Arbeitskräfte“ in die wirtschaftlich aufstrebende Türkei gerufen werden. Und die man später, in anderen wirtschaftlichen Zeiten, auch wieder loswerden will. Das kommt einem bekannt vor. Der Perspektivwechsel in dieser Produktion betont – gerade heute, wo in Deutschland eine zunehmende Fremdenfeindlichkeit zu verzeichnen ist -, wie man die Gefühle und die Situation der Gastarbeiter verstehen und wahrnehmen sollte. Die Produktion hatte bereits vor 10 Jahren seine Uraufführung in Bremen und wurde seitdem an vielen Theatern der Republik mit Erfolg gespielt. Zeigt sie uns doch auf amüsante, aber auch auf nachdenklich stimmende Weise die Sorgen und Gefühle der Gastarbeiter im fremden Land. Die Sehnsucht nach der Heimat, nach der zurückgelassenen Familie, den „Kampf“ mit der fremden Sprache und Kultur. Aber auch die wirtschaftliche Situation, d.h. die harte, oft schlecht bezahlte Arbeit. Nicht zu vergessen das Gefühl der Isolation im fremden Land.
Im Zentrum des Abends, der von der fiktiven Vorstellung ausgeht, dass das Wirtschaftswunder der 50er Jahre nicht in Deutschland, sondern in der Türkei stattgefunden hat und die wirtschaftliche Not viele Deutsche veranlasst, in Istanbul ihr Glück zu suchen, steht Klaus Gruber aus Essen (Stefan Diekmann in der ursprünglichen Besetzung, in der besuchten
zweiten Vorstellung sprang Dennis Herrmann für den erkrankten Kollegen ein). Er bricht in die schillernde Metropole Istanbul auf. Frau und Kind muss er zurücklassen, ebenso seinen geliebten Fußballverein Rot-Weiss Essen. Er kommt in ein Land, dessen Sprache und Lebensgewohnheiten ihm fremd sind. Später dann folgen ihm Frau und Tochter nach. Man lebt sich ein und irgendwann spricht die Tochter besser Türkisch als Deutsch.
Die Essener Inszenierung beeindruckt schon auf den ersten Blick. Manche Zuschauer sitzen auf Bänken an langen Tischen direkt an der Bühne. Im Zentrum der Spielfläche ein Podest, bedeckt von Orientteppichen. Darüber ein riesiger Kronleuchter. Im Hintergrund sieht man die Blaue Moschee als Bühnenhimmel. Diverse Kulissen stellen Schauplätze wie den Bahnhof oder die bescheidene Unterkunft von Klaus dar.
Çay und Raki werden genossen. Es wird gespielt, getanzt und gesungen. Wobei 15 poetische Lieder der bekannten türkischen Sängerin Sezen Aksu, die in der Türkei jeder kennt, den musikalischen Rahmen schaffen. Fünf Musikerinnen und Musiker und fünf Schauspielerinnen und Schauspieler singen und musizieren. Bemerkenswert, dass die deutschen Schauspieler so gut Türkisch gelernt haben, dass sie diese Lieder im Original singen können. An der hinteren Bühnenwand liest man die Texte auf Deutsch und Türkisch.
Der Abend beginnt mit der Frage, wo die Urne mit Klaus` Asche beigesetzt werden soll. Was zählt mehr? Wo er 40 Jahre gelebt hat oder seine Kindheitserinnerungen? Wo ist letztlich seine Heimat gewesen?
Istanbul lässt den Zuschauenden neue Einblicke in das Leben der Gastarbeiter nehmen. Gerade ins Ruhrgebiet kamen ja viele infolge der Anwerbeabkommen, nicht nur aus der Türkei natürlich. Auch Seren Kara hat einen engen persönlichen Bezug zu Thematik des Abends, kamen doch beide Großväter aus der Türkei ins Ruhrgebiet. Die Essener Produktion wird durch eine mobile Ausstellung im Foyer des Grillo-Theaters ergänzt, wo man Dokumente und Fotos von Gastarbeiterfamilien im Ruhrgebiet anschauen kann.

Ein unvergesslicher Abend mit einem hervorragenden Ensemble: Lene Dax, Silvia Weiskopf, Sümeyra Yilmaz, Alican Yücesoy und Dennis Herrmann. Als Musiker sind zu nennen: Ceren Bozkurt, Torsten Kindermann, Koray Berat Sari undJan-Sebastian Weichsel. Zu Recht stürmischer Applaus und Standing Ovation.