Übrigens …

Herzfaden im Münster, Wolfgang-Borchert-Theater

Wie stelle ich mich meinen Ängsten?

Der Herzfaden ist die unsichtbare Schnur an der Marionette, die von der Puppe aus direkt das Herz der Zuschauenden erreicht. Dieser Faden ist titelgebend für Thomas Hettches Roman über die Augsburger Puppenkiste. Meinhard Zanger erstellt eine Bühnenfassung, die er selbst inszeniert und die der Autor bei der Premiere selbst sieht.

Worum geht es? Ein Mädchen gelangt in der Jetztzeit auf einen Dachboden der Augsburger Puppenkiste, angefüllt mit Marionetten. Dort begegnet er Hannelore Marschall, der Tochter des Bühnengründers Walter Oehmichen. Die erzählt dem Mädchen von ihrer Vergangenheit und davon, wie sie sich ihren Erinnerungen an die Nazi-Herrschaft gestellt hat. Das erleichtert dem Mädchen, mit Hilfe einiger bekannten "Stars" der Puppenkiste wie Jim Knopf und dem Urmel, ihren Ängsten zu begegnen - eine Mischung aus Vergangenheitsbewältigung und Coming-of-Age-Geschichte also. Das funktioniert im ersten Teil auch wirklich flüssig und wunderbar. Denn Zanger kann mit dem Einsatz von Marionetten das Geschehen unterstreichen und zugleich ein Stück weit zauberische, märchenhafte Elemente entwickeln, die die lineare Handlung auflockern. Dazu müssen die Darstellenden einen sehr erfolgreichen Crashkurs am Spielkreuz der Marionetten besucht haben, denn die laufen und bewegen sich im wahrsten Sinne des Wortes "wie am Schnürchen". Außerdem schafft Linda Scaramella-Hedwig schön anzusehende Kostüme wie die Sommerkleider der frühen fünfziger Jahre und auch strenge weiße Blusen und lange Röcke, die an Uniformen der Faschisten erinnern. Und Stephanie Rave zündet an Klavier und E-Piano ein vielfältig-pfiffiges musikalisches Feuerwerk.

Um im Wortspiel zu bleiben, reißt nach der Pause aber dann irgendwie der Faden und Herzfaden wird zu einer relativ routiniert erzählten Biografie. Das hat seine Gründe wahrscheinlich darin, dass es keine neuen Kernaussagen oder Themen mehr gibt und in neue Worte gekleidete inhaltliche Wiederholungen das Geschehen auf der Bühne dominieren. Da verfliegt die Aura des Zauberischen leider ziemlich, auch wenn am Ende noch einmal klargestellt wird, wie tief populistische Propaganda in einen Menschen eindringen kann.

Großartig, wie Edina Hojas mit großer Sensibilität das Wesen eines Teenagers erspürt und offen legt. Tara Oestreich gibt, eine Kippe nach der anderen qualmend, als schillernde Diva die erwachsene Hannelore. Florian Bender als Walter Oehmichen, der nicht nur Mitläufer, sondern auch Funktionär war, wirbt mit ansteckender Begeisterung für das Marionetten-Theater; Katharina Hannappel und Niclas Kunder sind in vielen, kleinen Rollen unterwegs und das "Umschalten" gelingt beiden fantastisch - eine Tugend, die das gesamte Borchert-Ensemble auszeichnet.

Viel Applaus für die Anstrengungen, die das Team in eine Produktion investiert, die als Zielgruppe sicher ein junges Publikum hat. Inzwischen hat das Theater direkt nach der Premiere Kürzungen an diesem Stück angekündigt, die sich nur positiv auswirken können.