Übrigens …

Der Gott des Gemetzels im Bielefeld, Stadttheater

Großes Theater im Großen Haus

Es beginnt ganz zivilisiert: Das Ehepaar Véronique Houillé (Christina Huckle) und ihr Mann Michel (Thomas Wehling) äußern sich zufrieden, dass sie mit dem Ehepaar Annette Reille (Nicole Lippold) und deren Mann Alain (Georg Böhm) einvernehmlich den Streit zwischen ihren Söhnen Ferdinand und Bruno lösen wollen. Ferdinand hat Bruno mit einem Stock zwei Schneidezähne ausgeschlagen, dabei ist ein Nerv freigelegt worden. Keine Kleinigkeit also. Véronique arbeitet an einem Buch über den Krieg in Darfour, Michel ist Eisenwarenhändler. Annette ist Vermögensberaterin, während Alain als erfolgreicher Anwalt für einen Pharma-Konzern am gleichen Abend unentwegt am Telefon eine Strategie gegen mögliche Angriffe auf seinen Arbeitgeber mit einem eher begriffsstutzigen Telefonpartner berät.

Zunächst möchte man sich einigen, ob der eine Sohn aggressiv ist und der andere ein Muttersöhnchen, ob es sich um eine Verletzung oder eine Entstellung handelt, wer für die Kosten der ärztlichen Behandlung aufkommen soll. Und wie es eigentlich um den Gefühlshaushalt erst der Kinder und dann selbstverständlich auch um den der Eltern in diesem Fall steht.

Es ist freilich keineswegs der Streit um des Kaisers Bart. Schon die ersten ausgetauschten Äußerungen legen Klassenunterschiede im Sprachgebrauch frei. Der halbwegs emotionsfreie Anwalt aus den Kreisen der Hochfinanz und seine Frau als Anlageberaterin ebenfalls sind in anderen Kreisen unterwegs als der Eisenwarenhändler und seine sensible Kunstbuchautorengattin. Da ist die Katastrophe programmiert.

Das Bühnenbild von Regisseur Michael Heicks lädt dazu ein. Auf dem hochgefahrenen Orchestergraben ist eine Arena aus breiten bequemen Couchmodellen links und rechts einer breiten Treppe gebaut. Der Hintergrund besteht aus einer großen und breiten Fensterfront, darunter ein Bücherregal in gleicher Länge, vorwiegend mit Kunstbüchern bestückt, auf den kulturbürgerlichen Hintergrund von Véronique und Michel hinweisend. Die Einladung zum Klassenkampf ist unübersehbar. Und er wird mit aller Härte geführt.

Nach Tändeleien über das echte Rezept für Clafoutis kommt man zur Sache. Es zeigt sich: die Houillés wollten ursprünglich tatsächlich gesittet den Fall lösen. Doch die Reilles hatten an eine eher geschäftliche Kompensation gedacht. Und so bröckelt die bürgerliche Fassade immer mehr. Es fallen die Hemmungen, die Verbalinjurien werden durch Alkohol gefördert. Zugleich bröckelt der Zusammenhalt der Familien. Die Widersprüche zwischen den Ehepartnern brechen mehr und mehr auf. Annette, die zwischendurch einen Schwächeanfall im Bad zu kurieren versucht, kotzt auf einen antiquarisch besonders wertvollen Kunstkatalog, der mit dem Fön getrocknet wird. Alain verbrüdert sich mit Michel, weil der einen besonders guten Rum anbietet. Und Véronique ist irgendwann nur noch genervt, trinkt auch mehr als ihr gut tut und rechnet in großer Pose mit der Welt ab. Den größten Auftritt legt freilich Annette hin, die mit sich und der Welt - ihrer Berufswelt und der Familie - im absoluten Unfrieden lebt. Bewundernswert, wie sie sich quer über die Bühne hin und her windet, stolpert, zieht, ihren Frust mit Leibeskräften exerzierend und herausbrüllend. Dem stehen die Ehemänner gockelähnlich nicht nach. Kurzum, am Ende liegen alle ermattet am Boden, aber davon überzeugt: denen hab ich's gegeben?.

Als Beifall scholl den Akteuren und dann auch dem Regieteam ein Orkan von Jubel und nicht enden wollendem Applaus entgegen. Absolut verdient.