Übrigens …

Die Hand ist ein einsamer Jäger im Bonn, Theater

Wuthumor im Glitzerkostüm

Mitten auf der Bühne ein pink strahlendes achteckiges Gehäuse, die Türen umrahmt mit Jugendstil-Deko. Rechts und links daneben zwei große Projektionsflächen.

Feierliche Töne rauschen aus dem Off und drei Figuren in glitzernden Jumpsuits, die selbst die Hände bis zu den Fingerspitzen bedecken, schwingen sich auf die Bühne, knien nieder zu einer Vater-Unser-Persiflage, in der schon einige Themen angerissen werden, um die es gehen oder auch nicht gehen wird: um die Tretmühlen weiblichen Begehrens, um das Narrativ frustrierter Lesben, um Frauen über 55, sogenannte Neutren, um blutende Innereien und einiges mehr. Auf jeden Fall wird es um „die weiblich identifizierten Menschen, die größte Minderheit der Welt“ gehen, oder die „weiblich gelesenen Körper“ jeden Alters, in diversen Situationen, Zuständen und Selbstreflexionen. All das wird in einer rasanten Sprachsuada, in sprunghaft assoziativem Szenenwechsel präsentiert - ganz ohne dialogische oder wirklich dramatische Spielszenen.

Das Gehäuse öffnet sich zu einer achteckigen Spielfläche mit zwei seitlichen Spiegeln, in der Mitte ein Brunnenbecken, das für alles Flüssige herhalten muss, sei es die Toilette oder der weibliche Schambereich. In diesem pinkfarbenen Raum spielt sich ein großer Teil des 100minütigen Abends ab: da gibt’s Tanz, ein bisschen Akrobatik und Planscherei. Alles temperamentvoll dargeboten von den drei anonymen Figuren - mal chorisch, mal monologisch - mit ganz wenig zusätzlichen Requisiten: von Imke Siebert in Blau, meist strahlend, auch mal augenzwinkernd; Lena Geyer in Grün, etwas ernster bis rebellisch und Paul Michael Stiehler, ganz in Weiß, auch mal albernd.

Krass bis obszön geht’s gleich mit der ersten Verkörperung los: die Rede ist von einer „Prinzessin Selda“, die online als Projektionsfläche patriarchaler Fantasien dient. Da hören wir vom Ficken und Rammeln, um gleich darauf mit der Fresssucht des „Fressferkels“ konfrontiert zu werden. Dann schließt sich die Wand wieder und in einem eindrucksvollen Schattenspiel erscheint eine riesige dunkle Hand: die Titelszene von der grabschenden Hand in der Hose der „Spätteenagerin“ auf einer Party wird zu bösem Text stark ins Bild gesetzt. Groß im Video erscheint dann der Kopf der Rebellin, gefolgt von einem Schnelllauf durch ein Frauenleben von der Gebärenden über die verstummende Mutter bis zur sabbernden Greisin. Gefragt wird nach Selbstbewusstsein, Selbstbeherrschung und Selbstbestimmung.

Heftig ausgelotet wird das lebensfeindliche, aufgezwungene Schönheitsgebot des Schlankseins. Nach der Beschimpfung des „Hodenclubs“ kniet der „Chor der Bulimikerinnen“ vor der Kloschüssel und „kotzt“ alles aus: Vaterland, Mutterland, EU, Väter und deren Väter. Danach eine angedeutete Spielszene: der Tod des „Hungermädchens“. Nichts bleibt uns erspart: zum Schluss noch Vergewaltigung und Genitalverstümmelung.

Das alles in rosa und pink bestrahlt mit viel Charme, Bewegung und Humor, der kaum als Schwarzer Humor und keineswegs als Satire daherkommt. Die Regisseurin Sarah Kurze bringt das Ganze als buntes Sprach-Kaleidoskop mit starkem Revue-Akzent auf die Bühne.

Interessant ist allerdings, dass nach so vehementer Klage, Anklage und Kampfansage der allerletzte Satz lautet: „Danke für die Brosche.“ Es ist eine Wiederholung. Irgendwann - völlig zusammenhanglos - kommt nach dem Hinweis auf Quotenfrauen die Erwähnung eines Geschenks von einem völlig Fremden auf der Straße: eine Brosche, ein „silberner Frosch mit Strasssteinen am Rücken“. Ein Einschub, der so gar nicht zu passen scheint zu diesem feministischen Rundumschlag der Katja Brunner.

Mag sein, dass es eine heimliche Referenz ist an den stummen Helden im Roman der amerikanischen Schriftstellerin Carson McCullers: Das Herz ist ein einsamer Jäger.