Poesie als Rettung
André Kaczmarczyk schuf mit seiner Inszenierung Die Märchen des Oscar Wilde erzählt im Zuchthaus zu Reading einen höchst ungewöhnlichen, aber auch faszinierenden Mix aus realistischen Passagen - der umjubelte Dichter Oscar Wilde sitzt, angeklagt wegen Sodomie und der Liebe zu Männern, im Gefängnis zu Reading - und fantasievollen Traumwelten, eben Szenen aus Wildes Märchen. Matts Johan Leenders hat die Musik für diesen ungewöhnlichen Abend geschrieben. Mal aufrüttelnd, dann wieder ungemein emotional und zu Herzen gehend.
Der Abend beginnt mit einem Lied, einer Vertonung eines Gedichts von Oscar Wilde: „For each man kills the thing he loves“. Georgette Dee, die bekannte Berliner Diseuse, begeistert sofort. Wir sehen Yascha Finn Nolting als Häftling C33 in weißer Häftlingskluft in seiner schmalen Zelle sitzen inmitten der großen, grauen Bühne. Verurteilt wegen seiner homosexuellen Liebe zu Lord Alfred Douglas, diversen Kontakten zu jungen, käuflichen Männern - ein Affront in dieser Gesellschaft. Einziger warmherziger Kontakt ist die Beziehung zu seinem Gefängniswärter Martin (Thomas Wittmann), der ihm zuhört, Zeitungen und Lebensmittel bringt und dem er seine Märchen erzählt. Poesie als Rettung aus der beklemmenden Realität. Kaczmarczyk hat ein Mosaik geschaffen aus tristen Szenen im Gefängnis zu Reading, in dem Wilde 1895 eingekerkert war, aus Briefen und Vernehmungen vor Gericht und vor allem aus Ausschnitten aus Wildes Märchen. Flüchtet sich doch der Dichter zu gern in eine Welt der Fantasie. Nur langsam muss er erkennen, dass seine Berühmtheit ihn nicht schützt, will er als glamouröser Freigeist mit offener Identität leben. Wir erleben eine Collage von Einzelszenen, die diese konträren Aspekte illustrieren. Die Drehbühne ist hierbei unersetzlich. Bühnenausstattung und Kostüme sind prächtig, es wurde an nichts gespart. Mehr als 20 Mitspieler und ein kleines Orchester mit Livemusik sorgen für einen opulenten Theaterabend. Sebastian Tessenow ist ein unerbittlicher Anwalt der Gegenseite, Thiemo Schwarz ein gehässiger, kleinkarierter Gefängnisdirektor mit sadistischer Ader. Raphael Gehrmann überzeugt als Wildes Freund Robert Ross. Michael Fünfschilling beeindruckt auch stimmlich als Nachtigall in dem Märchen „Die Nachtigall und die Rose“ und dergleichen Roman Wieland als Schwälberich in „Der glückliche Prinz“. Zweifelsohne im Mittelpunkt Yascha Finn Nolting, der überzeugend spielt, wie Wilde mehr und mehr lernen muss, dass sein glamouröses Leben als gefeierter Star der Society ihm nicht alle Freiheiten erlaubte.
Ein Abend, den man nicht schnell vergessen wird und den das Premierenpublikum mit langem Applaus und Standing Ovations zu Recht honorierte.