Übrigens …

Nach dem Rosa Winkel im Theatermuseum Düsseldorf

Der Winkel war ab, die Verfolgung ging weiter

Hoch über der kleinen Bühne im Theatermuseum schweben sie: unzählige „Rosa Winkel“, so wie sie die inhaftierten Homosexuellen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern kennzeichneten. Von den Zuschauerplätzen nur schwer erkennbare Fingerabdrücke sollen sie individualisieren und den Opfern eine Identität geben, so wie es das Forschungsprojekt der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte getan hat, die zum Schicksal der Düsseldorfer Homosexuellen während der Nazizeit und im Anschluss an den 2. Weltkrieg recherchierte. Tatsächlich gilt die Stadt Düsseldorf als eines der Zentren der Verfolgung Homosexueller zur Nazizeit, und noch 1953 war die Düsseldorfer Strafkammer offenbar eine derer, die den berüchtigten §175 StGB mit besonderer Härte und Konsequenz anwandte. Astrid Hirsch-von Borries, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte, gibt wie in einer Art Einführung einen erschütternden Überblick über die politische Historie sowie einzelne individuelle Schicksale.

Nach dem Rosa Winkel ist der zweite Teil einer Trilogie, in der sich der Regisseur Marvin Wittiber und die vor wenigen Monaten gegründete freie Theatergruppe DüsselDrama mit der Verfolgung und Diskriminierung Homosexueller auseinandersetzt. Der erste Teil „Allein im Rosa Winkel“, präsentiert Anfang November 2024, beschäftigte sich mit der Verfolgung und Ermordung queerer Düsseldorfer im Nationalsozialismus. Ihre neue Inszenierung berichtet davon, wie es weiterging. Vor dem Hintergrund des erschreckenden Erstarkens einer in weiten Teilen rechtsradikalen Partei mit reaktionärem Weltbild wirft sie selbstverständlich auch einen bangen, aber selbstbewussten Blick in die Zukunft. DüsselDrama bezeichnet die Aufführung nicht als fertige Inszenierung, sondern als Präsentation der Ergebnisse eines „Theaterworkshops“. Rein technisch ist das sicher richtig: Eine Gruppe, bestehend aus der Autorin Simone Saftig, der Musikerin Marion Sherwood und einer hochengagierten Schar junger Düsseldorferinnen und Düsseldorfer im Alter von 16 bis 27 Jahren hat ganze vier Tage an der Entstehung der „Präsentation“ gearbeitet; die finale Fassung ist erst am Morgen der Aufführung fertig geworden. Künstlerisch allerdings stellt die Gruppe mit dem Begriff „Workshop-Präsentation“ ihr Licht mächtig unter den Scheffel.

Der Gruppe gelingt eine perfekte Mischung aus Dokumentartheater, szenischer Lesung und persönlichen Momenten. Trockene Dokumente wie Gerichtsurteile und juristische Kommentare werden verlesen, betroffen machende persönliche Schicksale erzählt, historische Fakten präsentiert - vor allem aber kommen die besorgten, teilweise auch wütenden Stimmen der jungen Menschen auf der Bühne zu Gehör, die samt und sonders in der einen oder anderen Form von der Thematik betroffen sind. Unterbrochen wird der ernsthafte, textlastige Abend durch die von Marion Sherwood wunderschön interpretierten Lieder aus oder im Stile der Zeit - von Lale Andersen bis Rio Reiser. Die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler berichten von den Schwierigkeiten ihrer Identitätsfindung, vom Unverständnis ihrer Umwelt, von Ängsten. Ihre dabei durchscheinende hohe Reflexionsgabe bestätigt sich in der anschließenden Podiumsdiskussion in herausragendem Maße. So unterschiedlich wie die Charaktere der Performerinnen und Performer sind auch die Lebensgeschichten schwuler und lesbischer Menschen, von denen sie erzählen.

Simone Saftig hat aus eigenen Texten, den von den Akteuren im Rahmen eines Schreib-Workshops erarbeiteten persönlichen Beiträgen sowie den dokumentarischen Beiträgen eine großartige Text-Collage zusammengestellt. Durch den Wechsel zwischen persönlichen Betroffenheiten, juristischen Dokumenten und historischen Fakten bleibt die dem Dokumentartheater oft eigene Gefahr allzu trockener Passagen und langweiliger Momente gebannt. Der Vortrag der Spielenden weckt Empathie, aber auch Empörung. Nach der Befreiung der Menschen aus den Konzentrationslagern wurden im englischen Sektor die Homosexuellen zunächst weiter in Haft genommen. Wir Älteren wissen noch aus eigenem Erleben, was für junge Menschen gottseidank nur noch Historie ist: Der § 175 StGB, der sexuelle Handlungen männlicher Personen jeden Alters unter Strafe stellte, blieb bis zum Jahre 1994 in Kraft (und zwar in seiner 1935 von den Nationalsozialisten verschärften Form), auch wenn er ab 1969 nur noch selten angewandt wurde. Auch Diskriminierungen in Beruf und Privatleben dauerten an - und scheinen bis zum heutigen Tage nicht ausgerottet. Blickt man in die USA, nach Italien, nach Polen und in andere Länder mit starken rechtsnationalen Parteien oder gar Regierungen (von Russland gar nicht zu reden), so wird rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung der queeren Szene vielerorts wieder zurückgedreht - ähnliche Entwicklungen in Deutschland sind bei weiterem Erstarken der AfD sicher nicht ausgeschlossen.

Und so ist der Kampf um Anerkennung und gleiche Rechte der queeren Community wohl nach wie vor nicht endgültig gewonnen. Der ernsthafte, sensibel komponierte Theaterabend könnte wunderbar zum Abbau von Vorurteilen beitragen. Aber Menschen mit Vorurteilen werden ihn mutmaßlich nicht besuchen.