Übrigens …

Liv Strömquists Astrologie im Schauspielhaus Düsseldorf

Aberglaube aus erster Hand

Die Saaltüren öffnen sich fünfzehn Minuten vor der Zeit, freundliche junge Leute empfangen uns mit Duftschalen und Räucherkerzen, fragen den einen oder anderen nach dem eigenen Sternzeichen und ob er damit zufrieden sei. Das schafft Wir-Gefühl. Über bühnenhohen Torbögen an der Rückwand der Bühne flackern Sterne und hinter flirrenden Gazevorhängen tanzen schattenhafte Figuren, sphärische Musik erfüllt den Saal. Eine Stimme verkündet, dass eine Handvoll Skorpione den Raum betreten habe und dass die Jungfrauen jetzt in der Überzahl seien. Da kann sich so mancher gemeint fühlen.

Dann stoppt die Musik und aus den Bögen stürzen fünf gebeugte Figuren, die uns in den folgenden hundert Minuten mit ihrem opulenten Spiel nicht nur durch den Sternenhimmel führen wollen, sondern auch über Sinn und Unsinn der Astrologie aufklären werden und dabei in mehr als fünfzig Rollen von mehr oder weniger Prominenten schlüpfen, die mal das eine, mal das andere belegen sollen.

Eine Gestalt löst sich von der wilden Gruppe und übernimmt für den ersten Teil die Moderation (bravourös: Fnot Taddese). Sie stellt die anderen vor, die zu Live-Musik einen Widder-Tanz aufführen. Wir erfahren, dass die im Sternkreis des Widder - das heißt vom 21. März bis zum 20 April - Geborenen einen “furchtbar hohen Energieverbrauch“ haben , dominant, reizbar und polyamorös sind. Und prompt wird die Behauptung gleich vierfach spielerisch unter Beweis gestellt

Zunächst tritt Tabea Bettin selbstbewusst als Jon Krakauer auf, „ der Typ, der Into the Wild geschrieben hat“. Dass es darin um die abenteuerliche Wanderung des jungen Chris McCandies durch die Wildnis Alaskas geht, wissen vermutlich nicht alle, die herzhaft über die ständig wiederholte Bemerkung der Moderatorin lachen: „Wenn ihr versteht, was ich meine“. Blitzschnell wechselt der temperamentvolle Moritz Klaus aus der Rolle des von Al-Quaida entführten Johan Gustafsson in die des rassistischen Ur-Nazis Bernhard Förster, des Deutschen, der 1880 in Paraguay das Neu-Germania gründen wollte. Zu naturgetreuen Windgeräuschen erntet Charly Schülke schließlich noch als Schimpansen-Forscherin auf allen Vieren Szenen-Applaus.

Mit den Stieren, den Durchhaltern, kommt der Musiker Thorsten Drücker selbst mit der Gitarre auf die Bühne und gibt dem bebrillten Bono einen Live-Effekt, während er sonst das Geschehen von der Seite aus mit rasanten Songs und Song-Covers begleitet und dabei mit Saxophon, Klavier, Gitarre und Schlagzeug ein buntes Potpourri aus Pop, Rap und Volksliedern mischt. Urkomisch gebückt mit Krückstock im Rosa Kostüm mit Hut erscheint Charlie Schülke als Queen Elisabeth II und schließlich Moritz Klaus als böse Karikatur von Melanie Trump, die unter aufbrausendem Szenenapplaus chorisch als „die absolut krasseste Stoikerin unserer Zeit“ präsentiert wird.

Es folgen die Zwillinge, die hier als „Sternzeichen Labertasche“ firmieren und die sich offensichtlich bis ins Weiße Haus hoch labern können, denn dazu gehören tatsächlich Donald Trump und John F. Kennedy.

Am 20. Juni – nach den Zwillingen - unterbricht der Regisseur Philipp Rosendahl bei seiner Adaption der Graphic Novel den Zodiak für ein erstes Interlude, während in der Buchvorlage der bekannten schwedischen Comic-Autorin Liv Strömquist alle zwölf Sternbilder nacheinander vorgestellt werden und jedes gleichsam ein Kapitel satirischer Menschheitsgeschichte zelebriert. Erst in einem zweiten Teil hinterfragt und analysiert die Kult- Autorin Sinn und Unsinn der Astrologie und führt dazu als Zweifler an der Astrologie den Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno und ihre eigene Mutter ein.

Und als eben diese kommt Kilian Ponert (brillant) mit blonder Perücke aus dem Saal gepoltert und donnert gleich los „MIT ASTROLOGIE SOLLTE MAN SICH GAR NICHT ERST BEFASSEN“ (im Text groß geschrieben), da das eine Form von Faschismus sei.

Es gibt noch drei weitere Zwischenspiele und ein Finale, die den zwölf Tierkreisen mögliches Kalendarisches, Ratgeberhaftes nehmen und eine spielerische Verbindung in den leicht additiven Text bringen, wenn auch jede Episode für sich als eine krasse Satire voll Ironie und Sarkasmus stehen kann. Eine kuriose Idee, den Mutter-Auftritt mit Domenico Modugnos „Volare“ enden zu lassen und dabei das letzte „a volare“ schlicht in „A-dorno“ zu verwandeln, so wird daraus das „Adornolied“, das wir noch vielfach hören werden und das hier schon auf das Interlude 2 verweist.

Und da tritt Adorno als opulente Puppe auf mit riesigem bebrilltem Kopf aus vier Figuren zusammengestellt, eine davon extra für die rote Krawatte und den üppigen Bauch. Er setzt an zur Entzauberung der irrationalen Autorität der Sterne, will heißen, der Pseudo-Wissenschaft Astrologie, die er schlichtweg zu einem traditionellen, sekundären Aberglauben erklärt. Aus dem Saal fragt eine Stimme, ob er der Philosoph sei, der in den 50er Jahren die täglichen Horoskope des Carrol Righter in der Los Angeles Times studiert und analysiert habe. Die Puppe bejaht und fasst schließlich zusammen, dass die Astrologie nichts sei als „eine Art degenerierter Vernunft, eine bösartige Wucherung der Vernunft oder eine Pseudo-Vernunft“.

Es folgt noch viel Prominenz, Madonna und Andy Warhol bei den Löwen, Prinz Harry bei den Jungfrauen und natürlich darf Sigmund Freud nicht fehlen, um das Ganze tiefenpsychologisch auszuleuchten. Denn „die Astrologie bestärkt die narzisstische Abwehr, da man alles, was passiert, auf die Sternkonstellation schieben kann“.

Zum Schluss dieses humorvoll-kritischen Abends wird das Publikum ganz direkt aufgefordert zu entscheiden, ob Astrologie nun Krankheit oder Arznei sei.Das Publikum applaudiert begeistert nach gut anderthalb Stunden voller Witz und Aberglauben, Sarkasmus und Ironie, wenn auch manch ein Kenner des Werkes der engagierten Comic-Zeichnerin und Gesellschaftswissenschaftlerin die feministische Schärfe vieler ihrer sonstigen Arbeiten vermisst haben mag.