Liebe trickst Business aus
Die Bühne ist eine Budenstadt. Kleingewerbe lockt mit bunten Fassaden: Pfandhaus, Wettbüro, Lucky Import & Export und mitten drin Holgers Golden Grill - Imbiss Wurst und mehr mit Tischen und Stühlen auf dem Platz und dem höchst präsenten Brighella hinter der Theke. (rasant: Holger Hübner). Am rechten Rand der Ladenstraße ein offener Kramladen, in dem es alles zu kaufen gibt, was man im Laufe der nächsten drei Stunden so braucht: seien es Plastikkannen, die man als Wurfgeschoss nutzt, Teddybären oder bunte Windmühlen, hinter denen man sich mal verstecken kann. Alle Preise sind verhandelbar. Mitten in diesem Gewimmel sitzt die phantastische Live-Band „Banda Comunale“, die das Geschehen mit vier Bläsern, Gitarre und Drums kraftvoll mit Arrangements und Songs aus den Neunzigern begleitet. Tatsächlich ist der Abend durchzogen von Eurodance-Hits, die mal solo, mal chorisch dargeboten werden.
Doch nicht nur die Musik-Ästhetik lässt die Neunziger aufleben, auch Mike Müller und Rafael Sanchez verlegen mit ihrer Textbearbeitung und Regie das Geschehen des Stücks in die Neunziger. Dabei fügen sie der Komödie außer der musikalischen noch eine ökonomische Ebene hinzu.Angedeutet war die allerdings auch schon bei Goldoni. Als er das Stück 1745 schrieb, setzte er sich bewusst von der Commedia dell’Arte mit ihren klischeehaften Harlekinaden ab und schuf in seinen Charakter- und Sittenkomödien zeitkritische Werke.
Gleich die erste Szene bringt alles: Witz, Irritation, Kritik wie es sich für eine Komödie gehört. Die Väter, der Mafia-Boss Pantalone und der Dottore Lombardi verhandeln die Verlobung und Hochzeit der jungen Leute Clarice und Silvio, ohne sie einzubeziehen, allerdings sind die wohl einverstanden, denn sie Knutschen derweil heftig im Hintergrund. Doch dann stoppt alles, denn Silvio ist für Pantalone nur die zweite Wahl. Es hieß, der Favorit, der reiche Frederico Rasponi sei tot, doch plötzlich soll er leibhaftig vor der Tür stehen. Alle Verabredungen sind hinfällig, der Reiche soll die Tochter haben.
Der Typ, der da auf dem Motorrad auf die Bühne gebraust kommt und sich für den reichen Frederico ausgibt, ist in Wirklichkeit dessen enterbte Schwester Beatrice in Männerkleidung mit angeklebtem Bärtchen, die auf der Suche nach ihrem Geliebten Florindo ist. Der wiederum ist auf der Flucht, da er im Verdacht steht, eben diesen Frederico, der tatsächlich tot ist, ermordet zu haben.
Da nun kommt unser Doppeldiener Truffaldino ins Spiel, der mit leeren Taschen und leerem Magen beiden „Herren“ seine Dienste anbietet, wobei diese nicht voneinander wissen dürfen und er sich nicht Diener, sondern zeitgemäß Assistent nennt. Er beklagt „den Fachkräftemangel im Niedriglohnsektor“, gibt sich auch mal als „funktionalen Legastheniker“ aus, wenn er etwas nicht entziffern will und schafft mehr und mehr ein kreatives Chaos um sich herum. Raiko Küster gibt diesen raffinierten Filou grandios einfallsreich und wendet sich dabei immer wieder direkt ans Publikum, das auch vergnügt mitspielt. So verteilt er die Linsensuppe, die von einem seiner Herren geordert wurde, löffelweise im ganzen Saal, wobei er immer wieder bestätigt haben will, dass die Suppe auch schmeckt. Vieles geschieht in konfusester Hektik und Schläue, so landen Geld und Schätze, wie die „Große Brustschleife der Königin Amalie von Sachsen aus dem Grünen Gewölbe“, nicht im Safe, sondern im Pfandhaus oder Wettbüro.
Ganz nebenbei verliebt er sich in die herrlich clownige Smeraldina , die ihm mit dem weltweiten Hit „Be My Lover“ der deutschen Eurodance-Gruppe La Bouche ihre Liebe gesteht und dabei lasziv die Götterspeise schlürft
Nach etlichen Slapsticks und Grotesken voller Situationskomik und Sprachwitz kommt es zur Enttarnung Beatrices und Clarice bekommt ihren Silvio, während sich Vater Pantalone mit Shaggys „Boombastic“ tröstet.
Echte Verwirrung schafft Truffaldino nochmal, als er in die Enge getrieben, seinen beiden „Herren“ vorgibt, der jeweils andere sei gestorben. Als sie sich mit der Pistole an der Stirn, bereit dem anderen in den Tod zu folgen, oben auf der Ladenstraße lebend entdecken, besingt Thomas Eisen als Florindo seine Liebe mit dem Huddaway’schen Eurodance-Lied „What is Love?“, dem Nummer-eins-Hit von 1992.
Zum Schluss noch ein Knüller: Holger Hübner eröffnet kraftvoll mit dem Song: „Pump ab das Bier“, der den Sänger Werner Wichtig 1989 zum One-Hit-Wonder machte. Dann gibt‘s die Übertragung eines Fußballspiels zwischen Dynamo Dresden und Bayern München. Sollte Dresden 5:0 gewinnen, ist die verwettete kostbare Brustschleife ausgelöst. Die letzten drei Minuten steht der Fernseher, Rückseite zum Publikum, mitten auf der Bühne. Natürlich siegt Dynamo 5:0.
So gibt es drei glückliche Paare. Aufbrausender Applaus von einem Publikum, das schon vorher viel gelacht und immer mal wieder geklatscht hat.