Übrigens …

Die Wut, die bleibt im Theater Duisburg

Feminismus als behauptete Lebensrealität

Ein geräumiger Guckkasten auf hohen Stelzen ist Wohnung für alle im Wechsel. Während im zugrunde liegenden Roman das Geschehen oben am Esstisch beginnt, schickt die Regisseurin Jorinde Dröse bei ihrer Adaption erst einmal eine Frau ganz in Weiß ans Mikro am Bühnenrand und lässt sie von der Geburt ihres Kindes als einer „archaischen Art Trance“ berichten, vom Mutter-Werden und Mutter-Sein und mit dem Versprechen enden: „Ich werde nie von deiner Seite weichen, Lola. Ich verspreche es.“

Doch schon Minuten später ist das Versprechen gebrochen. Die Frage steht plötzlich im Raum: „Haben wir kein Salz?“ Ein Wir, das ein Du meint: Du hast es vergessen. Du hättest es regeln müssen. Du musst es holen, das Salz. So versteht es die überforderte Mutter Helene, als Forderung an sie. Sie tritt auf den Balkon. Ein ohrenbetäubender Schall, Dunkelheit: der Balkonsturz. Tod. Beerdigung. Lola, die fünfzehnjährige Tochter, erklärt die Zeit ab jetzt zur neuen Zeit, zur „Zeit ohne Mama“.

Doch schon in der nächsten Szene ist Helene wieder da, als Untote begleitet sie uns durch das Geschehen, sei es als Erzählerin, posthume Fragerin, Ratgeberin oder Kritikerin, grandios gegeben von Johanna Bantzer.

Drei Kinder bleiben zurück, doch Johannes, der Vater darf sich in dieser Geschichte als Alltags-Patriarch in seine Arbeit zurückziehen und mit Alkohol trösten. Da bietet sich Sarah, Helenes beste Freundin und erfolgreiche Schriftstellerin, zur Hilfe an. „Ich bin immer da, wenn du mich brauchst“. Und er nutzt sie aus. Die gesamte Care-Arbeit geht auf sie über, sie funktioniert, bis sie entschlossen die Grenze setzt und geht. Anja Herden gibt diese kraftvolle Frau in strahlendem orange und pinken Outfit bravourös. Es gelingt ihr immer wieder, auch plakativ behauptete Botschaften nachdenklich zu hinterfragen und ergebnisoffen zu reagieren. Sie vermag zuzuhören und glaubwürdige Konsequenzen zu ziehen, so handelt sie nachvollziehbar aus Freundschaft, nicht aus Ideologie.

Ganz anders die Generation Z. Lola sieht sich als Rächerin für das Unrecht, das ihrer Mutter von der Gesellschaft angetan wurde, durch das sie in den Tod getrieben wurde. In einem schlichten Vulgär-Feminismus sind alle Männer schuldig, sie radikalisiert sich, wird zur „Dynamitstange“, besucht einen Kampf(sport)kurs, glaubt mit ihrer Girl-Gang legitime Gewalt ausüben zu können. Bemerkenswert ist dabei, dass die Gewaltakte choreographisch eindrucksvoll in Tanzszenen dargestellt werden. Dennoch bleibt der ehemalige Physiklehrer tot am Boden liegen und veranlasst die Girl- Gang, unter dem Motto: “Frauen, wie wir werden bestimmt irgendwo gebraucht!“ den Ort zu verlassen. Die Wut nehmen sie mit.

Es wird temperamentvoll gespielt, doch manche selbstreflektierenden, allzu ausgiebigen Monologe und Berichte wirken vom Blatt rezitiert. Dabei trifft das klischee- beladene Stück die Lebenswirklichkeit nicht unbedingt. Zwar schrieb Mareike Fallwickl den Roman 2022 nach der Pandemie, nach einer Zeit außergewöhnlicher Care-Belastung, doch heute gelesen und nachgespielt, erscheinen die Ereignisse als Behauptungen allgemeiner weiblicher Selbstermächtigung so plakativ nicht mehr glaubwürdig. 75 Jahre nach Simone de Beauvoirs Schlüsselsatz: Mankommt nicht als Frau zur Welt, man wird es, klingt die Beschimpfung im Stück: „Ihr seid umgeben von Gitterstäben der Gesellschaft und checkt nicht mal, dass ihr im Käfig hockt“, ziemlich platt.

Das Festival-Publikum war’s zufrieden und applaudierte herzlich.