Ukrainische Fixer auf der Bühne
Als sich die Türen zum Depot 2 öffnen, scheint das Spiel schon in vollem Gang zu sein: Mariana Sadovska singt ein trauriges ukrainisches Lied, spielt dazu auf dem Klavier und wird dabei von Jörg Ritzenhoff auf dem Audio-Laptop und von bedrohlich-dröhnendem Schlägen der Drum begleitet. Die beiden, die später auch mal kurz Sprechrollen übernehmen, werden das Geschehen des Abends mit einem dumpf-melancholischen Soundtrack aus eigenen Kompositionen unterlegen, der aber, wenn es dramatisch wird, aufbraust und in Getöse ausbricht.
Auf der Rückwand blendet ein Video vor Trümmerfeldern mit großen Buchstaben Namen ein, dazu ertönen Textfragmente, die vorerst noch keinen Sinn ergeben, wenn auch auf der Bühne schon aufgeregte Aktivität herrscht. Zwischen umgekippten Möbelstücken und Zaunfeldern herrscht Gerenne, Stühle werden aufgestellt und wieder umgeworfen. Nebel wabert bis in die ersten Sitzreihen, Sirenen heulen auf. Chaos. Dann Ruhe.
Drei Figuren lösen sich aus dem Tumult, treten an den Bühnenrand und wenden sich unmittelbar ans Publikum. „Wir haben im April 2024 mit ukrainischen Fixern und Journalisten in Kiew gesprochen“, informiert uns Anja Jazeschann, stellvertretend für das Theaterkollektiv FUTUR3 um André Erlen, den künstlerischen Leiter und Regisseur des heutigen Abends. Tatsächlich ist die Gruppe, zu der auch Mariana Sadovska und Stefan H. Kraft gehören, die heute den Abend mitgestalten, letztes Jahr zu Recherchen in die Ukraine gereist, um in Gesprächen mit ukrainischen Fixern, internationalen Journalisten und vom Schrecken des Kriegs betroffenen Personen die Grundlage für ihre Stückentwicklung zu sammeln. Was sie daraus gemacht haben in Making The Story ist es in Köln zu einer ergreifenden Geschichte geworden.
Vorrangig geht es um die Arbeit - die Motivation und die mangelnde Anerkennung für den Einsatz - der sogenannten Fixer. Sie bilden die Verbindung zwischen der internationalen Presse und der ukrainischen Bevölkerung. Sie stellen Kontakte her, organisieren Treffen mit Interviewpartnern, schätzen Gefahrenlagen ein und springen auch hin und wieder als Übersetzer und Fahrer ein. Das alles in der Regel auf Honorarbasis und häufig unter prekären Bedingungen und bei wenig Anerkennung. Die Medienvertreter sehen in ihnen häufig nur lokale Hilfskräfte, während sie selbst sich eher als „Producer“ verstehen, wenn auch ihre Namen kaum mal erwähnt werden.
In rasantem Rollenwechsel - ganz ohne Kostüm- oder Requisitenhinweis - wechseln Lev Friedmann (vom Kölner Ensemble), Anja Jazeschann (freie Künstlerin) und Stefan H. Kraft von einer in die nächst Rolle, berichten als Fixer oder Fixerin von mal absurden, mal lustigen, mal ergreifenden Ereignissen und von der eigenen Vergangenheit. So wurde Marichka, herrlich gespielt von Anja Jazeschann mit blonden Zöpfen und Faltenrock, von ihrer Bank entlassen und freute sich, nun endlich etwas Richtiges zu erleben, wobei sie sich bewusst als Producerin versteht, wenn sie auch anfangs wirklich alles falsch machte. Ganz anders Konstantyn (temperamentvoll gegeben von Lev Friedmann), der vor dem Krieg einen erfolgreichen Youtube-Kanal betrieb und jetzt von seiner Berühmtheit und seinen Beziehungen profitiert. Allerdings auch weiß, was seine Arbeit wert ist. Dann ist da noch Rita, früher Schauspielerin, jetzt tief ergriffen von ihrer Arbeit (rührend gespielt von Stefan H. Kraft), der beim Bericht die Stimme versagt.
Da bricht donnerndes Getöse los. Die Möbelteile werden zu einem Sofa zusammengesetzt und darauf räkeln sich jetzt alle Drei als Karikaturen höchst arroganter internationaler Journalisten. Sie mokieren sich zynisch über den emotionalen Auftritt der Fixerin: das kann einem Journalisten nicht passieren, sein Berufsethos heißt: Distanz. Eine kleine Satire, die nachdenklich stimmt. Vielleicht sind mit dieser Journaille wir alle gemeint, die aus dem friedlichen Westen auf Distanz gehen.
Dann wird es wieder ernst. Berichtet wird von einer Familie in den USA, die den TV-Sender Fox News verklagt wegen widerrechtlicher Tötung, vorsätzlicher Zufügung seelischen Leids und Betrugs. Die Eltern von Sasha Kuvshynova klagen nach dem Tod ihrer Tochter beim Einsatz in der Ukraine, zu dem es nach ihrer Ansicht durch Fahrlässigkeit kam bei einem Angriff am 14. März 2022 nahe Irpin.
Das Geschehen auf der Bühne ist von großer Intensität: Szenen werden nachgespielt, es gibt Tote, einen Verletzten, der berichtet, grelle Lichteffekte, ohrenbetörendes Getöse. Dazu erschreckende Videos.
Dann wird es still: ein fast privates Gespräch zur Zukunft der Drei im Zelt, nur die Hände als Live-Video an der Wand. Zum Schluss der Appell: Europa muss aufwachen! Und noch einmal ohrenbetäubende Klänge.