Ein Abend unerfüllter Erwartungen
Die Bühne auf einer Seite vollgestellt mit Haus-Modellen, in der Bühnenmitte ein riesiger Fernseher, leicht gekippt, im Sessel davor eine lebensgroße Männerpuppe. Rechts ein Schreibtisch voll Arbeitsmaterial.
Die Saaltür geht auf, eine adrette junge Frau kommt rein, wendet sich direkt ans Publikum: „Hallo! Schön, dass Sie alle da sind. Wie Sie da alle so sitzen, mit erwartungsvollem Blick.“ Inzwischen auf der Bühne, plaudert sie weiter über unsere möglichen Erwartungen, ob der Abend sie erfüllen oder enttäuschen wird. Fragt nach der grundsätzlichen Bedeutung von Erwartungen, ihrem Bezug zu Realität und Fiktion. Mit dem Wunsch: „Viel Spaß!“ verschwindet sie wieder. Dass es Hilde Wangel war, aus dem Stück Baumeister Solness, das wir ja alle erwarten, bemerken wir später. Dann wird sie auch noch weiterphilosophieren, dann aber nicht über Erwartungen an den Abend, sondern ans Leben.
Katharina Grosch, die das Ibsen-Stück bearbeitete und Regie führt, schickt gleich zu Beginn die Hauptfigur auf die Bühne, den von allen für genial gehaltenen erfolgreichen Baumeister Solness im seriösen Dreiteiler (von Torsten Borm überzeugend gegeben zwischen Anmaßung und Verunsicherung). „Ich muss arbeiten“, stöhnt er, erklärt, dass es um das „Projekt Villa für junge Leute“ gehe, und dass er in Wahrheit „wirklich so gar keine Lust dazu“ habe. Dass er arbeiten müsse wiederholt er noch mehrfach, verschiebt es aber immer wieder, um sich eine Pfeife anzuzünden, sich bei seiner Frau Aline im Kommandoton einen Kaffee zu ordern oder am Ende im gemütlichen Sessel vor dem Fernseher zu landen: Prokrastinierer im Selbstzweifel. Über den Bildschirm flimmert inzwischen der „Godzilla“-Film von Ishirò Honda aus dem Jahr 1954, in dem ein Monster mit seinem Schwanz ganz Tokio zerstört. Dieser Godzilla, der zum Einen für die unterdrückten Ängste des Baumeisters steht, zum Anderen für die psychischen Verheerungen, die er in seinem Umfeld anrichtet, wird später durch den Bildschirm auf die Bühne stürzen und in den drei Frauen, die Solness umgeben, Gestalt annehmen.
Da ist zunächst Aline, die verhuschte Ehefrau des Baumeisters, die sich ihm gegenüber kaum ein Wort zu sagen traut, und all ihre unerfüllten Bedürfnisse und Sehnsüchte auf die große Männerpuppe projiziert, dem Solness-Doppelgänger. Eine Anspielung auf das Ibsen-Original, in dem die verstörte Aline um ihre im Elternhaus verbrannten geliebten Puppen trauert. Auch für Solness ist diese Verheerung in beiden Stücken bedeutsam, da er sich schuldig fühlt, den Brand herbeigewünscht zu haben.
Noch während Solness mit dem Auftrag für die jungen Leute hadert, taucht seine junge Angestellte Ragna (zwischen unterwürfig und emanzipiert entschlossen: Puah Abdellaoui) mit einem Entwurf für eben dieses Projekt auf, doch wird sie vom Meister brüsk abgewiesen. Bei Ibsen ist es ein junger Mann, Katharina Grosch gibt damit dem Generationenproblem einen feministischen Schwenk. Der wird bei der Figur der Hilde (einfordernd: Susanne Schieffer) noch deutlicher. Während sie bei Ibsen als Verehrerin auftaucht, schickt Grosch sie als selbstbewusste Rächerin ins Geschehen. Sie fordert „Kompensation monetärer oder zumindest materieller Art“, für vier Küsse, die ihr Solness vor zehn Jahren als zwölfjähriges Mädchen gab, die bei Ibsen nicht vorkommen. Eine krasse Umdeutung des Originals. Diese Version zieht sich auch durch das folgende Geschehen. Die drei Frauen erscheinen in Echsen-Kostümen und diskutieren ihre Erwartungen ans Leben. Dabei geht es ziemlich durcheinander. Hilde unterstellt den anderen „eingefrorene Erwartungshaltung“ und als Aline sich mehr Empathie wünscht, schaltet sich Solness ein mit: „Halt dein dummes Maul“ und beschimpft sie alle mit „ihr Monster, ihr Echsen“, während die Frauen umgekehrt ihn für das Monster halten.
Solness baut inzwischen aus den Modellen, die auf der Bühne herumstehen, einen Turm, einen Phallus, wie Hilde spottet, und versucht, mit der Puppe im Arm, von hinten darauf hochzusteigen, während wir im Fernseher die berühmte Sturz-Szene des King Kong aus dem Film King Kong und die weiße Frau (1976) sehen. In dem Moment, in dem King Kong vom Turm des Empire State Buildings stürzt, fällt auch die Puppe mit Wucht zu Boden. Auf dem Bildschirm erscheint: „Der Baumeister ist tot." Aus dem Off ertönt: „Burning Down the House“, der Song der New-Wave-Band Talking Heads von 1983.Hilde kommentiert lakonisch: „Aber bis zur Spitze kam er.“
Ibsen schrieb Baumeister Solness 1892, 64-jährig, nachdem er nach langem Aufenthalt in Italien und Deutschland nach Norwegen zurückkam. Das Stück wird häufig als autobiographisch inspiriertes Drama rezipiert, da er tatsächlich ernsthafte Generationskonflikte ertragen musste. So kritisierte ihn der junge, erfolgreiche Schriftsteller Knut Hamsun als „langweilig und banal“.
Das Publikum applaudierte begeistert.