Kirk, Dirk und die Domspatzen
Dirk ist Jäger, Kirk ist im Schiffbaugeschäft. Das sind zwei ordentliche männliche Berufe. Und was so ein zünftiges Mannsbild ist, braucht auch einen Chor von Bräuten. Männer sind schließlich keine monogamen Wesen, sondern stets auf der Suche nach einer größeren Zahl von Vaginen. Sie nennen ihre Frauen „Chöre“ – nicht, weil sie von ihnen die Flötentöne beigebracht bekommen wollen, sondern weil sie mehrstimmig und multifunktional „unter ihnen kommen“, für die Salami im Kühlschrank sorgen und Entspannung in jeglicher Hinsicht garantieren sollen.
Zu den Risiken und Nebenwirkungen solcher Gelüste werden wir noch einiges erfahren an diesem 90minütigen Abend im Schauspiel Essen. Hoffen wir mal, dass Mann zumindest beim Akt der Eheschließung präsent war, denn beim Einzug in das neue Heim glänzt er erstmal durch Abwesenheit. Drei ganz in Barbie-Rosa gekleidete Blondies ziehen die hässliche Bauplane von dem frugal ausgestatteten kleinen Fertighaus, um das herum auch das Publikum auf der Bühne platziert ist. Sie treten mit synchronen Bewegungen ein und stoßen mit einem Glas Sekt an. Die wie eineiige Drillinge zurecht gemachten Damen (Sabine Osthoff, Silvia Weiskopf und Lene Dax) sehen aus wie Trad Wives und bilden die Dreifaltigkeit von Kirks Ehegattin. Timo Heins großartige musikalische Komposition, die die gesamte Aufführung wirkungsvoll, unterhaltsam und oft auch ironisch begleiten wird, endet mit Aplomb. Ein bärtiger Schrat in schrillem blauem Karo nähert sich, überreicht einen Brautstrauß und nimmt am Esstisch Platz. „Ist noch Salami da?“, erkundigt sich der Schiffbauer und Bräutigam. Der Chor der Rosafarbenen zieht die Konsequenzen: „Ich beende unsere Ehe.“ – Die Flitterwochen dauerten nur wenige Minuten…
So weit, so witzig und so barbiebunt. Anne Lepper hat ihr jüngstes, jetzt am Schauspiel Essen uraufgeführtes Stück nach einer Stummfilm-Komödie von und mit Buster Keaton aus dem Jahre 1920 benannt und nennt es eine "dystopische Screwball-Komödie". Natürlich haben bereits jetzt alle begriffen, worum es geht: Vom Manne zwangsentindividualisierte Weibchen, die vor allem für Küche, Sex und Kühlschrank zu sorgen haben, beginnen, sich zu wehren. Es geht um die Macht des Patriarchats, um Einschüchterung, häusliche Gewalt und reichlich Misogynie: Dumm, dass Kirks Chor altert, während doch die Aachener oder Regensburger Domspatzen forever young bleiben. Wenn ein Jäger und ein Schiffbauer sich zusammentun, muss es doch auch dafür noch bessere Lösungen geben …
Warten wir’s ab. Zunächst muss Kirks Zurückweisung verarbeitet werden. Schrat Kirk (vielleicht ist Philipp Noacks Figur ja nach dem meist Macho-Figuren verkörpernden Kirk Douglas benannt, der in jungen Jahren im Hinblick auf sein Verhalten gegenüber Frauen auch kein Kind von Traurigkeit gewesen sein soll) engagiert Freund Dirk, der in Person von Jan Pröhl zeitlupenartig als Western-Parodie mit stilisierter Schrotflinte herumschleicht und Kirks verängstigten Chor vor sich hertreibt. Viel ist von der gewünschten oder gar notwendigen Penetration der Chöre die Rede; so ein Flinten-Lauf erscheint da durchaus als geeignetes Instrument. Die Diagnose ist bitter: „Die schönsten Chöre paaren sich mit den brutalsten Männern der Stadt.“ Der Chor wehrt sich auf andere Weise: „Wir müssen nicht herausfinden, wer wir sind, sondern ablehnen, was wir sind“, heißt es da in Ablehnung gängiger psychologischer Berater-Konzepte.
Der Humor von Anne Lepper ist frech und manchmal nicht nur unterschwellig aggressiv. Männern werden Sätze in den Mund gelegt wie: „Vergewaltigung ist das Höchstmaß der Zärtlichkeit.“ Verbal geht es mächtig zur Sache, wobei Lepper ihre feministische Satire mit einem gehörigen Schuss Kapitalismuskritik würzt. Frauenfeindliche Gerichtsbarkeit, Klassismus und rechtes Denken werden angeprangert; Kirk und Dirk stehen mit ihren Äußerungen auch für Migrationsfeindlichkeit und die Ablehnung von Gender-Fluidität. „Macht Deutschland groß again!“, heißt ihre Devise, was ja zu Jan Pröhls Outfit passt: Dirk sieht aus wie ein Jäger oder Farmer aus dem Mittleren Westen, und die haben zu hohen Prozentsätzen Trump gewählt.
Die komödiantischen Szenen im 1. und im 3. Akt werden immer wieder durch – meist kurze – Theorie-Elemente gebrochen. Weite Teile von Leppers Stück profitieren von diesem permanenten Wechsel zwischen Comedy und Theorie. Wenn ihre aus vielen früheren Stücken bekannte Neigung zum Sperrigen und zu verkopftem Denken mit der Autorin durchgeht, springen Regisseur Felix Krakau, Kostümbildnerin Jenny Theisen und die Musik von Timo Hein ihr hilfreich zur Seite. Tatsächlich hat man häufig den Eindruck, dass es vor allem das Leitungs-Team der Inszenierung ist, das dafür verantwortlich ist, dass über weite Strecken des Abends der Anspruch, eine schrille Komödie geschrieben zu haben, eingelöst wird. Ohne die amüsante, perfekt getaktete Künstlichkeit von Felix Krakaus Inszenierung wäre Leppers oft aggressiver Theorie-Feminismus möglicherweise weniger durchschlagskräftig, weil zu konstruiert.
Gegen den überlangen 2. Teil mit dem Namen „Filmriss“ kommt allerdings auch Felix Krakau nicht an. Dabei ist der witzig angelegt: Das Dienstmädchen (Rebecca Große Boymann) fragt sich, ob denn wohl auch sie studieren dürfe, und die Chorführerin antwortet prägnant: "Verschaff' dir Wissen, greif' zum Buch!" Sabine Osthoff beginnt einen furiosen Monolog aus Theorien von Marx, Lenin, Adorno und anderen, der dem überforderten Dienstmädchen jede Lust und jedes Selbstvertrauen zur Aufnahme eines Studiums nimmt. Zunehmend verzweifelt sitzt sie während der ca. 20minütigen Suada mit ihrem Buch am Tisch, enttäuscht und am Ende wütend. Das ideologiegesättigte, lebensferne Engagement der Linksintellektuellen für die Arbeiterklasse, das so ein bisschen klingt wie Rudi Dutschke reloaded, wird prächtig aufs Korn genommen. Ob Anne Lepper das so gemeint hat, als sie diesen Monolog schrieb? Falls Lepper ihre Theorie-Sammlung ernst gemeint haben sollte, hat Krakau ihr Stück mit seiner Ironie gerettet. Osthoff jedenfalls gelingt so oder so ein fulminantes Bravourstück.
Teil 3, frei nach Oscar Wilde mit „Der ideale Gatte“ überschrieben“, erholt sich nicht mehr ganz von diesem Theorie-Tsunami, obwohl die Satire noch einmal prächtig Fahrt aufnimmt und auf wirklich amüsanten Trash setzt. Timo Heins Musik orientiert sich jetzt ironisch am Sound eines Horrorfilms: Kirk und Dirk basteln mit Hilfe von KI, Elektrobohrer und heterosexuellen Leichen den idealen Chor zusammen. Der hat mehrere, allerdings schwer zu findende Vaginen. Dummerweise hat er auch einen eigenen Willen. Die künstlichen Domspatzen altern nicht nur nicht, sondern sie üben furchtbare Rache.
„Ist noch Salami da?“, fragte der alte weiße Rezensent, als er nach Hause zurückkehrte. „Wenn du welche geholt hast“, flötete die beste Ehefrau von allen gelassen vom Sofa. Der alte weiße Rezensent schmunzelte. So geht’s also auch.