Übrigens …

Die schöne Magelone im Düsseldorf, Forum Freies Theater

Prinzessin und Graf schleppen Umzugskartons

Bis auf einen Flügel auf der linken Seite und einen spärlichen Sessel rechts - beides in Klarsichtfolie verpackt - ist die Bühne leer. Die Rückwand scheint mit schmutzig-weißer Gaze bespannt. Ein strahlend schönes Paar tritt auf in historisierendem Outfit, sie mit üppigem Tüll-Rock und Krönchen, er mit Goldreif im Haar: die neapolitanische Prinzessin Magelone und der provençalische Rittersmann Peter (brillant gegeben von Marie Seidler, Mezzosopran und Äneas Humm, Bariton). Sie räumen ganz prosaisch die Folie vom Flügel - die dann einfach am Boden liegen bleibt.

Am befreiten Instrument nimmt die brillante Pianistin Shushan Hunanyan Platz und stimmt die erste der Romanzen von Johannes Brahms an, in die Marie Seidler als schöne Prinzessin mit einem strahlenden Mezzosopran einstimmt. In dem Lied „Keinen hat es noch gereut…durch die Welt zu fliegen“, fasst sie das Leben eines Ritters zusammen und lässt synchron mit dem Klavier das jugendlich, ungestüme Vorwärtsdrängen von Ross und Reiter erahnen.

Das Spotlicht wandert nach rechts und beleuchtet ein zweites Paar (überzeugend in den Sprechrollen: Fenna Benetz und Ahmet Ilker Ergin), ähnlich gekleidet wie das erste, doch ohne Krone und Goldreif. Erst langsam wird klar, dass auch sie Magelone und Peter sind, wenn sie zunächst Bericht erstattend an die Rampe treten: „Es begab sich zu ferner, längst vergang‘ner Zeit. Da zog es einen jungen Rittersmann adligen Geblüts …aus den heimischen Gefilden in die weite Welt.“ In romantisierender Sprache und rasantem Wechsel werden wir eingeführt in das südfranzösische Märchen Die schöne Magelone, eine Geschichte zwischen Orient und Okzident. Tatsächlich liegen die Ursprünge dieser Saga in den Märchen aus Tausendundeiner Nacht, damals als Geschichte von Prinzessin Budur und Prinz Kameralzaman. Vermischt mit Motiven südeuropäischer Sagenstoffe, taucht sie dann christlich geprägt in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts in Südfrankreich als anonymer Ritterroman unter dem Titel Pierre de Provence et la belle Maguellone wieder auf, der dann 1527 von Veit Warbeck, einem Freund Martin Luthers, ins Deutsche übertragen wurde. Fast drei Jahrhunderte später schrieb Ludwig Tieck den alten Stoff im Sinne der Romantik fort und befreite ihn wieder von den christlichen Zutaten.

Es bleibt eine klassische Liebesgeschichte: Peter, der Ritter, begibt sich auf Abenteuerfahrt, verliebt sich in der Ferne in die schöne Prinzessin Magelone, die einem anderen versprochen ist, beide müssen fliehen. Unterwegs gerät Peter in die Gefangenschaft des Sultans und dessen schöner Tochter Sulima. Nach Jahren finden Magelone und Peter wieder zueinander, heiraten und versichern sich im Schlusslied „Treue Liebe“ ihrer großen Liebe.

Der gleichsam „modernisierte“ Erzähltext von Ludwig Tieck enthält 18 Liebesgedichte, von denen Johannes Brahms in den 1860er Jahren in seinem Liederzyklus Die schöne Magelone 15 Texte als Romanzen vertonte. Zum besseren Verständnis fügte der Komponist erst später den Romanzen die Prosatexte hinzu, eine verbindliche, von Brahms autorisierte Aufführungstradition existiert jedoch nicht.

Zum diesjährigen Düsseldorfer Schumannfest stellt sich Robert Zeigermann die Frage, was aus dem romantischen Liebespaar wird, wenn aus der abenteuerlichen „Situationship“ am Rande des Turniers eine „Commited Relationship“ wird. So streicht er entschlossen den gesamten Prosatext von Tieck und ersetzt ihn durch einen eigenen, der die beiden Liebenden mit der Realität des gegenwärtigen Alltags konfrontiert, der Rollenbilder hinterfragt und Beziehungsarbeit fordert.

Da irritiert zunächst zwar der romantisierende Sprachklang des Beginns der Erzählung aus „ferner, längst vergang‘ner Zeit“, der sich aber mehr und mehr verliert, und spätestens nach der vierten Romanze in der Gegenwart ankommt und aus dem Erzählduktus in den Dialog der beiden wechselt.

Auf der Rückwand fegt im Schattenspiel ein Sturm übers Meer und lässt ein Boot gefährlich schaukeln, darin Peter, der es endlich wagte, den Hof des Sultans und die ihn umschwärmende Sulima zu verlassen. Im Spot singt Magelone, die inzwischen als einfache Schäferin lebte, ein schlichtes Liebeslied, das mit seinem einförmigen Rhythmus an den höfischen Minnesang erinnern könnte. Melancholisch beklagt sie: „Mich umfleucht der Sorgen Schwarm“, um dann doch versonnen zu fragen: „Darf ich in den Spiegel schauen, den die Hoffnung vor mir hält.“

Dieses Lied, das bei Tieck von Peter bei seinem sehnsuchtsvollen Aufbruch gesungen wird, lässt Zeigermann von Magelone an diesem Wendepunkt des Geschehens singen. Die beiden haben sich wiedergefunden, die Geschichte ist endgültig im Hier und Heute angekommen, ganz lässig spricht Magelone vom „krassen Zufall“ der Ereignisse und berichtet von ihrem „Job beim Schäfer“.

Die beiden beschließen auf Magelones Drängen, ein eigenes Heim (Schloss) weit weg von den Schlössern der Eltern zu gründen. Im Schattenspiel werden schon Umzugskisten und Leitern geschleppt, die dann auch auf der Bühne aufgebaut werden. Während Peter nochmal zurückfällt in die Version von Ludwig Tieck und deklamiert: „Und so begab es sich, dass Peter mit Magelone zu seinen Eltern reiste, sie wurden vermählt …“, ist Magelone unbeirrt in der heutigen Beziehungsarbeit angekommen und hinterfragt ihre Rolle in einer gleichberechtigten Partnerschaft. Während alle Vier Bücher ins Regal räumen, kommt es zum ziemlich aktuellen Disput um die Romane von Haruki Murakami und seine Frauenfiguren in GefährlicheGeliebte. (Zur Erinnerung: Im Juni 2000 kam es im Literarischen Quartett bei der Diskussion um dieses Buch zum Eklat und zum Austritt von Sigrid Löffler aus der Runde.) Erschöpft vom Streiten lässt sich Magelone in den Pappsessel fallen und schließt die Augen, während Peter die neunte Romanze anstimmt. Ganz ruhig beginnt er mit: „Ruhe, Süßliebchen“, wird dann erregter und endet fast überschwänglich romantisch, wobei das Klavier mit nur hingetupften Klängen an gezupfte Lautentöne erinnert. Dieses bezaubernde Lied singt Peter bei Tieck während einer Rast auf der Flucht, vor der dramatischen Trennung der beiden. Zeigermann schafft damit Ruhe in aufgeheizter, häuslicher Atmosphäre.

Bis zum Schluss bleibt Magelone die kritisch Nachfragende, während Peter ihr zusichert, ihr „Jeden Tag für heute“ die Treue zu versprechen.

Strahlend und innig versichern sie im Schlusslied dann gemeinsam: „Treue Liebe dauert lange / Und kein Zweifel macht sie bange.“ Ein grandioser kompositorischer, schauspielerischer und dramaturgischer Ausklang eines Liederzyklus' voll kühner Kontraste, in dem eine Fülle von Genres - vom Wiegenlied bis zum Choral - anklingen.

Wenn auch durch die Verschiebungen und Ergänzungen die Beziehung von Prosatext und Lied-Text nicht immer inhaltlich überzeugen, so bleibt die Wucht des Werkes von Johannes Brahms doch erhalten.