Strukturell männlich dominiert
Es reichen nicht des Dorfrichters Blessuren, sein derangiertes Gesicht. Nein, Regisseur Wilke Weermann will, dass jedem vor Augen geführt wird, um was es hier geht: Gewalt gegen Frauen! Deshalb stellt er Kleists zerbrochnem Krug eine Vergewaltigungsszene voran, die sich auf einem Tisch abspielt, der die Bühne beherrscht. Dorfrichter Adam übt gegenüber Eve Gewalt aus und offenbart seinen viehischen Charakter, indem er während seines Orgasmus' röhrt wie ein brünftiger Hirsch. Wer das nicht begriffen hat, dem ist nicht mehr zu helfen. Warum Weermann diesen Holzhammer auspackt, wird eigentlich nicht ganz klar, verfügen er und sein Ensemble doch über sehr feine Möglichkeiten, Schreckliches auszudrücken und deutlich zu machen.
Der Tisch kommt einem jener Seziertische nahe, die man landauf, landab in Krimis sieht. Und das passt gut, denn an und um diesen Tisch herum wird vieles seziert. Es geht um Machtspiele im Justizsystem, die bald den Komplex "Gewalt gegen Frauen" zu überlagern drohen. Bis zum Schluss klärt sich die Frage nicht, wo dieses Gericht angesiedelt ist. Mit ID-Karten sind die Beteiligten ausgestattet. Das Ganze wirkt ein wenig futuristisch. Das ist aber für den Kern des Stückes unerheblich. Doch die Handlungsmuster sind sehr heutig: Jeder will die eigenen Interessen durchsetzen. Der Vergewaltiger, Dorfrichter Adam, denkt gar nicht daran, seine Pfründe aufzugeben. Seiner Meinung nach war die Vergewaltigung ein Akt, zu dem er jedes Recht hatte. Raphael Rubino gibt ihn als selbstgefälligen barocken Provinzfürsten. Unter Druck gerät er, als der Gerichtspräsident Walter seine Methoden bei der Prozessführung hinterfragt und anscheinend über einen Knopf im Ohr mit einer übergeordneten Instanz verbunden ist. Artur Spannagel bleibt stets ruhig und sachlich. Dabei zieht er die Schlinge um des Richters Hals immer ein Stück mehr zu.
Viele Hunde sind des Hasen Tod: Auch Schreiber Licht, den Carola von Seckendorff mit einer Portion Bauernschläue ausstattet, sägt am Sessel seines Vorgesetzten und möchte diesen beerben. Eves Verlobter Ruprecht denkt nicht daran, ihr zu vertrauen und beklagt stattdessen ihre Untreue. Ein typischer Macho ist es, den Julius Janosch Schulte überzeugend gibt und der halt in allen gesellschaftlichen Schichten existiert.
Ilja Harjes ist Frau Rull, um deren Krug es längst nicht mehr geht und deren Rolle vom Regieteam auch wenig beachtet wird. Das tolle Ensemble vervollständigt Alaaeldin Dyab als debiler Gerichtsdiener. Keinerlei Sinn hat indes, dass Männer Frauenrollen spielen und umgekehrt. Weil dieser Geschlechtertausch zu häufig zu sehen ist, verpufft jegliche Wirkung.
Lange musste sie darauf warten auszusagen, doch dann gerät Eves Auftritt zur Sternstunde. Clara Kroneck kann allen Schmerz, alle Kränkungen, die ihr widerfahren sind, leise und still vorbringen. Und dennoch sind ihre Worte Stachel, die ins Fleisch der Täter stechen. Ein Kampf ist gewonnen, aber so viele werden noch folgen. Das Publikum feiert alle Beteiligten einer sehr differenzierten Produktion.