Ein Sozialdrama als absurde Schauergeschichte
Auf der schwarzen Bühne dreht sich gemächlich ein von flimmerndem Licht erleuchteter Kubus, darin zwei Wohnräume und eine U-Bahn ENDSTATION. Aus dem Off kommen dumpf-gurrende Töne, während diverse Figuren in Zeitlupe auftauchen und wieder verschwinden.
Zwei Frauen beziehen die Räume, eine legt sich schlafen, die andere kommt in kessem Popp-Outfit erst gegen vier Uhr morgens von der Arbeit als „Runner in einem Elektroclub“, sie heißt Zoey und wird temperamentvoll gegeben von Paula Winteler. Während sie sich heimelig in ihren Sessel schmiegt und sich eine Zigarette dreht, wird sie plötzlich von toxischer Musik „umhalst“, die sich wie eine glitschige Schlingpflanze um ihre Glieder legt. Sie wehrt sich, dreht sich zu ihrer eigenen Musikapparatur, hämmert darauf los und stampfende, dröhnende Bässe wummern durchs Haus und überlagern die fremden Geisterklänge, die sie aus dem Haus vertreiben sollen.
Es klopft und die Nachbarin steht da in Nachthemd und Mantel, von den Erschütterungen aufgeschreckt. Die beiden kennen sich nicht. Sie heißt Trisha Flice, arbeitet als Konditorin und muss morgens früh raus. Sie hört zwar die gespenstige Fremdmusik nicht, wird aber von der Vibration der stampfenden Bässe geweckt. Sofort wird klar, die Nachbarin verständigt sich mit Gebärdensprache: sie ist taub. Die beiden radebrechen mit Zeichen und Wörtern, später verständigen sie sich auch mit Zetteln, die als Übertitelung eingeblendet werden oder mit sinnvollen Rückfragen von Zoey, die sich eifrig bemüht, die Gebärdensprache zu lernen. Das Stück ist zweisprachig, auch das Publikum. Großartig, wie die taube Schauspielerin Athena Lange die Rolle der Trisha als starke, geduldige Frau gibt - mit ruhiger Gestik und großem Verständnis für die getriebene, oft überreagierende Zoey.
Die Bilder zu dieser Begegnung wären wenig dramatisch, würden die beiden nicht ständig von drei androgynen Gespenstern umtanzt, die von Heta Multanen in kuriose Kostüme zwischen neobarocken Perücken und angedeutetem Biedermeier gesteckt wurden. Grell geschminkt, mit bizarr- besitzergreifender Gestik verkörpern sie die Geister früherer Bewohner dieses 1880 erbauten Hauses, das nun von Immobilienhaien entmietet wurde, nur die zwei Frauen – die die gruseligen Untoten, die sie umschwirren, nicht sehen können - sind dem Spuk noch nicht erlegen.
Warum der Property Manager beim kapitalistischen Immobilienentwickler EmeraldInternational Real Estate GmbH. als Clown (absurd: Michael Pempelforth) auftritt, ist unverständlich. Es gibt der Rolle eine alberne Leichtigkeit, die dem sozialkritischen Hintergrund der Geschichte nicht gerecht wird. Zumal das Ende der Handlung mit dem Tod zweier Betroffener einen tragischen Touch bekommt, der zur komödiantischen Interpretation der Inszenierung nicht recht passt. Zoey verkommt in ihrer Wohnung, die schließlich zwangsgeräumt wird. Sie lebt auf der Straße, wird von einem LKW erfasst und stirbt. Auch der Hausmeister stirbt, nachdem er dreißig Jahre Dienst tat, unter gespenstischen Umständen.
Das Stück besticht mit seiner Doppelschichtigkeit: zunächst die Zweisprachigkeit, die wunderbar gelingt. Interessant ist dabei, dass die taube Schauspielerin Athena Lange bei der Entwicklung der Rolle der Trisha beteiligt war - die sie dann so überzeugend darstellt und mit selbst gesprochenen Sätzen optimistisch krönt.
Mutig auch der Zusammenschnitt der Musik (Ton: André Rauch), von Klassik und Pop-Rock. Da treffen Bach, Mozart, Wagner und Verdis „La Donna è mobile" auf harten Pop-Rock, wie „ Rescue Me“ der Bell, Book and Candle oder „Nothing Else Matters“, der Power Ballade der amerikanischen Haevy-Metal- Band Metallica. Auch das gregorianische Requiem klingt an.
Dann die Zeitebenen: Die Untoten aus dem 19. Jahrhundert greifen nach den Menschen der Gegenwart, lassen sich instrumentalisieren von kapitalistischen Immo-Spekulanten, und schaffen so die Spannung zwischen Sozialdrama und Schauergeschichte. Das Festival-Publikum applaudiert begeistert.