Goldstück als heimliche Gewalt
Erstmals startet das „asphalt-Festival - Sommer der Künste? in diesem Jahr mitten in der Stadt im eleganten Düsseldorfer Schauspielhaus mit grandiosen internationalen Produktionen. Doch mit der quasi dokumentarischen Eigenproduktion Goldstück kehrt es zurück ins Gewerbegebiet in Lierenfeld, wo der Musiker Bojan Vuletic und der Theatermann Christof Seeger-Zurmühlen vor dreizehn Jahren im Hinterhof stillgelegter Fabrikräume mit ihrem mutigen Programm aus Schauspiel, Tanz, Musik, Performance - vieles gengreübergreifend - das asphalt Festival gründeten.
Im schmucklosen Raum der Alten Farbwerke sind zwei Stuhlreihen fürs Publikum zum großen U gestellt. An der Wand gegenüber sitzen die Akteurinnen und Akteure in scheinbarer Alltagskleidung. Die meisten bilden den Chor: die Stimme einer trägen, erschöpften Masse, die statt Stellung zu beziehen eher ein Echo bildet und schließlich verstummt. Dazwischen drei Frauen, die in eindrucksvollen Spielszenen das Leben und Leiden einer von psychischer und physischer Gewalt bedrohten Frau präsentieren. In der Hauptrolle eindrucksvoll Julia Dillmann. Als mögliche zukünftige Schicksalsversionen Azizè Flittner und außerdem - mit tänzerischen Einlagen - anrührend Anna Magdalena Beetz. Dann noch zwei Männer: Alexander Steindorf, der im Sakko den gewaltbereiten Ehemann und mit roter Kappe das heranwachsende Kind spielt und Paul Jumin Hoffmann, der die anderen bösen männlichen Einflüsse gibt. Von der Seite begleiten Sandra Zawada und Benjamin Herrera das Geschehen mit elektronischen Klängen und Live-Geräuschen.
Das einzige Requisit auf der vernebelten Spielfläche ist ein schwarzer Metall-Türrahmen, er steht für die Absperrung und Einsperrung der Frau, die daran zwanzig Schlösser sieht, die für sie nicht zu knacken sind.
„Ich kann nicht mehr!“ tönen einzelne Stimmen. Dann der ganze Chor der Erschöpften gemeinsam: „Wir alle nicht!“ Im Klagelied listen sie auf, was sie alle erschöpft: Das Smartphone, Krisen, Kriege, Arbeitsüberlastung, die Baby-Kotze, Renten, Depressionen.
Julia Dillmann tritt aus der Gruppe heraus als namenlose Frau: „Ich erzähle euch meine Geschichte. Gegen das Verschwinden. Gegen das Verstummen.“ In eindrucksvollen Szenen erspielt sie mit den beiden anderen Frauen in Rück- und Vorausblicken das allmähliche Abgleiten in die Entmündigung, in die Hilflosigkeit und Isolation. Die zunehmenden psychischen Belastungen, die Inbesitznahmen durch den Ehemann: Freundinnen werden rausgeschmissen, Job und EC-Karte gekündigt. Dann kommt es zu physischer Gewalt, zu brutalen Schlägen und anschließend immer wieder zu verlogenen Versöhnungen. Er nennt sie sein Goldstück, ohne das er nicht leben kann, wie schon bei der später als rückschauende Episode eingeblendeten Hochzeitsszene.
Auf die immer wieder gestellte Frage: „Warum hast du dich nicht längst getrennt?“ antwortet das Klacken der imaginären Türschlösser, einmal kommt es zu zwanzig Klacks, dann schreit das Kind: Das einundzwanzigste Schloss, das den Ausbruch verhindert.
Alternativen werden ausgelotet: Episoden in einem überfüllten Frauenhaus, in der eine Frau vom verlassenen Ex-Partner entdeckt und ermordet wird. Gerichtsverhandlungen, in denen die Frauen der Lüge bezichtigt oder die Tatsachen verdreht werden. Immer wieder herrscht Männersolidarität und schützt Männerbrutalität.
Statistiken zu Femiziden werden zitiert: nahezu täglich wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Goldstück thematisiert den Weg dahin, die übersehenen Vorgeschichten und stellt die Frage nach Veränderung. Christof Seeger-Zurmühlen bringt die Probleme mit seinem Ensemble beeindruckend auf die Bühne.
Am Ende stehen der Aufruf der bedrohten Frau an alle: „Frauen, die wie ich noch hinter der Tür stehen: Verbrennt eure Angst. Zündet sie an“. Und der Appell an die gesamte Gesellschaft: „Wir brauchen einen neuen Chor!“