Übrigens …

Die heilige Johanna der Schlachthöfe im Schauspielhaus Düsseldorf

Scheitern in finsteren Zeiten planmäßiger Willkür

Die Bühne von Olaf Altmann führt uns in eine Fabrikhalle, vermutlich ein Schlachthof in Chicago - oder auch irgendwo auf der Welt – alles grau in grau. Über die Breite der Rückwand zieht sich auf halber Höhe ein Gitter, das später immer mal wieder heruntergelassen wird und einen Spalt freigibt, in dem sich Menschen nur kriechend fortbewegen können. Rechts und links ragen zwei Rohrenden von etwa einem Meter Durchmesser aus den Seitenwänden und blasen Dampf in den Raum.

Vom Synthesizer – auf dem Keith O’Brien das Geschehen den ganzen Abend mit einem dramatischen Soundtrack begleiten wird – dröhnen dumpfe Töne und zu wuchtigen Stößen, vielleicht fernen Bolzenschüssen, stoßen die rätselhaften Rohre von Kopf bis Fuß in hautfarbene glitschige Folie gehüllte Menschen-Gebilde aus. Im Programmheft werden die acht Figuren schlicht „Das Fleisch“ genannt. Um „Fleisch“ geht es ja tatsächlich, um 40 000 Tonnen Fleisch, die Brechts negativer Held, der Fleischkönig Mauler (hinreißend doppelzüngig: Heiko Raulin), später anonym kaufen und zu Wucherpreisen wieder verkaufen wird. Vorerst flutschen die Acht in eleganter Beweglichkeit in käfigartige Kammern hinter der Gitterwand. Zum Schluss baumeln sie dann erbarmungswürdig mit gefesselten Händen an Haken aufgehängt vom Bühnenhimmel. Eine choreografisch glänzend konzipierte und von den temperamentvollen Statistinnen und Statisten virtuos umgesetzte Idee. Interessant dabei ist, dass die Gruppe bei den ganz wenigen Texten, die sie chorisch bringt, etwa „Hunger!“ oder „Uns geht die Luft aus!“ eher die Rolle der leidenden Arbeiterschaft übernimmt, die ansonsten in Düsseldorf nicht auftritt.

Ein grummelnder Sound und in der rechten Rohröffnung erscheint eine junge Frau, bleibt einen Moment hocken, schaut fragend und neugierig um sich, wagt sich dann raus, stolpert in weißem, blutbefleckten Lammfell-Overall auf die Bühne, greift zum Saxofon und lässt jammernde Klagetöne hören (ergreifend: Caroline Cousin). Dann sucht sie nach Worten, beginnt zögerlich – sei es zu sich selbst oder ans Publikum gewendet – ihren Auftrag zu beschreiben. Silbe für Silbe findet sie zu ihrer Botschaft „In fin-ste-ren Zei-ten blu-tiger Ver-wirrung und planmäßiger Willkür will ich wieder einführen den Menschen“. Sie glaubt an einen „letzten Versuch, den Menschen wieder aufzurichten in zerfallender Welt.“ Es ist Johanna Dark, die hier die Ausbeutung von Mensch und Kreatur anprangert und entschlossen ist, dagegen anzugehen. Allerdings nicht wie Schillers Jeanne d’Arc als idealisierte Gottes-Kriegerin, die den Heldenton stirbt. Nur ein klein wenig erinnert sie an dieses historische Vorbild in ihrem Traum, in dem sie ein Heer der Arbeitslosen anführt. Aber auch von der heiligen Johanna in Brechts Original unterscheidet sich die Johanna, die Roger Vontobel in Düsseldorf auf die Bühne schickt. Sie ist hier nicht der „Leutnant der Schwarzen Strohhüte“ (eine Persiflage der Heilsarmee), die Brecht zu den ausgesperrten Arbeitern schickt, um ihnen den Glauben an Gott näher zu bringen. Wenn Vontobel diese Stufe des Engagements weglässt, vernachlässigt er die Bemerkung des Autors in den Anmerkungen zu Die heilige Johanna der Schlachthöfe, dass „Glaube und Existenz Gottes“ in diesem Stück nicht zur Diskussion stünden.

Auch die Hinwendung zur Kommunistischen Partei und Johannas Verrat an der Streikbewegung sind gestrichen. Umso intensiver wird die zwiespältige Beziehung zwischen Johanna und dem Fleischkönig Mauler ausgespielt.

Mauler in knallrotem Lederoutfit hat was Teuflisches oder zumindest Faustisches. Er, der knochenharte Kapitalist und Egoist ist fasziniert vom Altruismus und Humanismus der selbstlosen Johanna. Doch was auch immer er als positive oder zumindest menschliche Regung bei sich selbst zu entdecken glaubt oder vielleicht sogar für den Moment empfindet – zwei Seelen mögen da in seiner Brust wohnen – ist längst Teil seiner ökonomischen Pläne. „Ach, in meine arme Brust / ist ein Zwiefaches gestoßen. /… Denn es zieht mich zu den Großen / Selbst- und Nutz- und Vorteilslosen /Und es zieht mich zum Geschäft /Unbewusst!“

Am Ende sind es nicht nur die Arbeiter und Kleinen Leute, die er schonungslos ausbeutet, sondern auch die schicken, leicht karikierten Mit-Kapitalisten werden zu seinen Opfern. Dabei versteht er es, seine Machenschaften stets positiv umzudeuten.

Das Fazit ist bitter: Ans Publikum gewandt (wir sind im epischen Theater) fasst Johanna die Lehre des Stücks zusammen:„Nützlich war ich den Schädigern. Es hilft Gewalt nur, wo Gewalt herrscht. Und es helfen Menschen nur, wo Menschen sind.“Bei Vontobel scheitert sie zwar, darf aber überleben, während sie im Brechtschen Original an Lungenentzündung stirbt. Vorher wird sie allerdings noch zur Heiligen erklärt, um zu verhindern, dass die Arbeiter sie zu ihrer Märtyrerin ausrufen.