Plädoyer für Bulgarien
Die Hälfte des Asphalt-Festivals ist um, des Sommers der Künste, eines Festivals, das vor 13 Jahren angetreten ist, im Sommer die Straßen und Plätze in Düsseldorf mit anspruchsvoller Kunst-für-Alle zu bespielen. Zwar startete es in diesem Jahr erstmals im etablierten Schauspielhaus mit seiner professionellen Bühnentechnik, fand dann aber schnell zurück in die Alten Farbwerke mitten im Industriegebiet und auf die Seebühne auf dem Schwanenspiegel. Das klingt zwar nach Idylle, liegt aber mitten in der City, nur durch ein paar Büsche vom verkehrsreichen Graf-Adolf-Platz getrennt. Und dann ist da noch das intensiv bespielte 34Ost, die ehemaligen Verkaufs- und Lagerräume eines Elektronikmarktes, die dem Festival ganzjährig zur kulturellen Nutzung überlassen wurden.
In diesen, zu einer großräumigen Spielstätte umfunktionierten Räumen - stellt die temperamentvolle Vidina Popov in einer fulminanten One-Woman- Show - zwischen Schauspiel, Stand–up und Balkan-Soul – die Frage nach ihrer eigenen Identität und vielem, was für sie Heimat bedeutet. Gepimpt wird ihr bissiger Humor dabei von der Live-Musik des israelischen Gitarristen Michael Glucksmann.
Auf der schwarz verhangenen Spielfläche hockt ein Bündel, vielleicht ein Mensch? Überdeckt mit einer weiß-grün-roten Flagge, die man irrtümlich für die vertraute italienische Fahne (grün-weiß-rot, senkrecht) halten mag, doch die Streifen sind waagerecht. Es ist die Bulgarische Flagge, denn heute geht es immer wieder um Bulgarien, wo die Wurzeln der Österreichischen Künstlerin Vidina Popov liegen, die derzeit in Berlin lebt und heute Abend aus eigenen Erfahrungen und Begegnungen, Interviews, Dokumentationen und immer wieder dem Publikum entlockten Antworten etwas wie eine temperamentvolle Mitmach-Performance schafft. Erstaunlich, wie stark dabei aus dem Publikum auf den auf Bulgarisch gesprochenen Teil der Texte (leider nicht Deutsch übertitelt) reagiert wird. Dennoch muss manch ein befragter Zuschauer gestehen, nie in Bulgarien gewesen zu sein, Sofia nicht zu kennen und auch das eine oder andere Nationalgericht noch nie probiert zu haben. Dafür gibt’s jedesmal heftige Schelte. „Schäm dich!“ heißt es dann und immer wieder folgt der Hinweis, dass es in Bulgarien nicht nur den allerbesten Schafskäse, sondern auch unvergleichliches Rosenöl gibt, das es dringend zu probieren gilt. „Kommen Sie! Kommen Sie!“ ruft Popov uns unermüdlich zu, wobei sie sich mehr unter dem Publikum als auf der Bühne bewegt.
Während sie die bulgarische Folklore begeistert zum Achten Weltwunder erklärt und stolz darauf verweist, dass das Land seit 2007 Mitglied der EU ist, klingt bei der Information, dass im Land ihrer Wurzeln seit 2021 bereits sieben Neuwahlen stattfanden, eher Ironie als Nationalstolz mit. So mischt sich dann doch in das Lob auf die Heimat der Vorfahren, die schon ihre Eltern verließen, etwas Kritik und das Bemühen, gängige Klischees zu denunzieren. Schließlich ist sie in Wien geboren und ihr Mann ein echter Österreicher, was sie ausdrücklich betont. Da sieht sie zwar Probleme mit der Sprache, mit Hochdeutsch und heimatlichen Dialekten, wobei sie aber locker von einem zum anderen springt und dabei den Düsseldorfer Boden als „sauber, sicher, stabil“, klassifiziert.
Für die Schlussszene schlüpft die Performerin in ein rosa Tüllröckchen, ruft Michael Glucksmann, der den Abend bisher vom Rand der Spielfläche her mit einer rasanten Klangcollage begleitete, in die Bühnenmitte und bezieht ihn in ihr Spiel ein. Als der Israeli die Frage, ob er Bulgare sei, verneint, muss auch er erst einmal eine Schimpfkanonade über sich ergehen lassen, bevor er ihr zum temperamentvollen Tanz aufspielen kann.
Das gutgelaunte Publikum applaudiert herzlich, wenn auch das Fazit des Abends, dass es sich im Grunde nur in Bulgarien zu leben lohnt, ganz sicher für kaum einen im Raum zutrifft.