Übrigens …

State of the Union im Theater am Alten Markt Bielefeld

Keiner hat Dir gesagt, dass Du ausziehen sollst

Ehedramen auf der Bühne kennt man mindestens seit Shakespeare. Und jede Generation hat da ihr Lieblingsdrama, seit es als Kammerspiel daherkommt. „Wer hat Angst vor Virginia Woolf, Zimmerschlacht, Endstation Sehnsucht, Der Gott des Gemetzels- alles schon gesehen. Wozu dann also das eher zweitklassige Ehedrama State of the Union?

Das fängt ja schon mit dem Titel an: Die deutsche Übersetzung steht im Untertitel - siehe Überschrift. „Der Stand der Dinge“ wäre vielleicht adäquat, ist aber prominent vergeben. Der deutsche Untertitel ist also eine Notlösung - eine Zeile aus dem Text, die eine gewisse Ratlosigkeit nicht verbergen kann. Warum bloß ist wer ausgezogen??

Er ist ausgezogen: Tom (Thomas Wehling), der sich mit seiner Frau Louise (Christina Huckle) in einem Café trifft, bevor es zur Paartherapie geht. Die findet im Haus gegenüber statt. In zehn Sitzungen, genauer zehn Verabredungen zur Sitzung finden also Treffen davor statt. Und Tom und Louise beraten sich, besser: wollen sich beraten, was sie der Therapeutin erzählen werden. Und natürlich erzählen sie so dem Publikum alles über den katastrophalen Zustand ihrer Ehe. Katastrophal? Eigentlich ist es eher der dürftige Durchschnitt durch den soziologischen Querschnitt der eher Bessergestellten. Louise ist Ärztin in einer Klinik, Tom ist freier Musikjournalist mit Hang zu Depressionen ob fehlender Aufträge. Sie sind schon länger verheiratet, die Kinder sind groß und aus dem Haus. Und da kriegt man schon mal Anwandlungen nach anderen Zuständen als denen der langweiligen Gegenwart. Louise hat’s gewagt und bereut. Der Seitensprung mit Matthew war relativ schnell ausgesprungen, Tom hat’s umgeworfen.

Der Ort der Therapie ist also nicht die Praxis, sondern das Café. Regisseur Michael Heicks (auch verantwortlich für das Bühnenbild), jetzt Exintendant und freier Regisseur, hat freilich das Kammerspiel verfremdet. Seine Protagonisten stehen vor dem Café, wenn sie sich treffen und streiten, während das wenige Leben, das Dramatiker Nick Hornby dem Stück gönnt, im Hintergrund, also im Café, abläuft. Dass es um gelangweilte Mittelklasseangehörige geht, erkennt man auch daran, dass die Treffs mit Alkohol begleitet werden. Der Mann, klar, trinkt Bier, die Frau, ebenso klar, Weißwein.

Wo bleibt das Positive? Hier: Christina Huckle und Thomas Wehling geben dem Dialog, den mitunter platten Witzen Feuer. Sie setzen Pausen, forcieren den Text, duellieren sich mit Pointen. Das geht dann schon mal unter die Gürtellinie, die Souveränität der Ärztin Louise spielt da zwar gelegentlich den Loser Tom aus, aber der wehrt sich massiv. Aktuelle Politik spielt leider auch mit. Aus dem Brexit, der im Freundeskreis der beiden natürlich diskutiert wird und den Tom aus Opposition befürwortete, wird im Text ein Ehe-Brexit. Übersetzer Ingo Herzke ist da zu bedauern, das derartige Plattitüden im Text stehen (müssen?). Ansonsten hat er mit viel Bravour englischen Mittelklassehumor in adäquates Bühnendeutsch übersetzt. Da aber selbst ein spritziger Dialog über Eheprobleme nicht abendfüllend ist, hat Michael Heicks dem Text auf andere Art und Weise noch Leben eingehaucht. Gelegentlich unterbrechen Louise und Tom ihren selbstreferentiellen Dialog, denn sie sehen aus dem Haus gegenüber, in dem sich ja die Praxis der Therapeutin befindet, Paare herauskommen. Und das gibt dann Anlass zu Vermutungen, mit welchen Problemen wohl die beiden belastet sind. Und nicht nur Tom und Louise sehen die Beobachteten, sie treten auch auf. Gesa Schermuly und Stefan Imholz haben Auftritte, in denen sie wie Christina Huckle und Thomas Wehling zeigen können, was gut erarbeitete Komik ausmacht. Das Publikum hatte daran seine Freude. Jedes Lokal braucht einen Wirt. Den hatte Michael Heicks mit Oliver Siegel besetzt, der vor allem mit melancholischen Tönen seines Akkordeons die gelegentlich unruhige Szene wieder beruhigte. Dazu trug auch Simbi Kabageni mit ihren sinnlichen Liedern bei.

Erheblich viel Unruhe brachten dagegen die lautstarken Auftritte der Gruppe E-Motion, die immer wieder gern gebucht wird.

Das Publikum hat den kurzweiligen Abend sehr genossen mit Ovationen und Bravorufen.