Übrigens …

Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen im Schauspielhaus Düsseldorf

Als Wetteinsatz eine Limonade

Von der Wiege bis zur Bahre: Alles ist ‘ne Geldanlage“, heißt es in einem der zahlreichen Songs, die Eva Jantschitsch für die Aufführung geschrieben hat. Bösartig könnte man sagen, dass das auch für Timm Thaler gilt: Der sympathische Junge verkauft sein Lachen, das ihm bei Autor James Krüss die Zuneigung aller Menschen bringt und bei Hannah Joe Huberty am Jungen Schauspiel Düsseldorf ziemlich dreckig klingt. Im Gegenzug erhält er von Baron Lefuet die Zusage, künftig jede auch noch so unmögliche Wette zu gewinnen. Und so wird Timm Thaler unermesslich reich. Der Coup mit dem Lachen als Geldanlage ist gelungen, könnte man sagen. Bloß ist man ohne Lachen auch zutiefst unglücklich. Ein englischsprachiger Slogan wird in der Aufführung für Menschen ab 10 Jahren zum Mantra: „Teach me laughter, save my soul.“

Müssen wir die Geschichte im Detail erzählen? Die Älteren von uns haben in ihrer Kinderzeit wohl alle das Buch von James Krüss gelesen, und viele der Jüngeren kennen die Fernsehserie des ZDF aus dem Jahre 1979 oder die star-gespickte Verfilmung von Andreas Dresen aus dem Jahre 2017. Timm entdeckt bald, dass ihm ohne Lachen die Lebensfreude fehlt; er heuert als Stewart auf dem Dampfer „Delphin“ an, der von Hamburg nach Genua fährt, und versucht (unter anderem mit dem Abschließen unmöglicher Wetten), sein Lachen wiederzugewinnen: Bei Verlust einer Wette wäre der Vertag mit dem Baron ungültig, und Timm hätte sein Lachen wieder. Timm findet Freunde aus allen Gesellschaftsschichten - den Reedereidirektor Rickert, die Steuerfrau und spätere Taxifahrerin Jenny und den merkwürdigen Matrosen Kreschimir zum Beispiel -, aber sein finsterer Geschäftspartner ist ihm taktisch und strategisch überlegen. Baron Lefuet erweist sich als wahrer Fürst der Finsternis: Lesen Sie mal seinen Namen rückwärts. Da es sich bei Timm Thaler um ein Kinderbuch handelt, geht die Geschichte natürlich gut aus. Die Lösung scheint verblüffend einfach, funktioniert jedoch nur im Zusammenspiel mit einer einzigen Person auf dieser Welt…

Robert Gerloff hat die Geschichte in Düsseldorf zum Umzug des Jungen Schauspiels in eine neue Spielstätte inszeniert. Nach der Renovierung des CENTRAL ist das bislang eher an der Peripherie gelegene Theater nunmehr im Zentrum der Stadt angekommen - wenn auch im prekären Bahnhofsviertel. Aus diesem Anlass wird ausgiebig gefeiert. Insofern passt die überdrehte, laute, äußerst extrovertierte Form von Gerloffs Inszenierung perfekt zum Tag. Allerdings tut die Inszenierung anfangs des Guten zu viel: Holterdipolter galoppiert sie durch die ersten Szenen, in sagenhaftem Tempo und ohne einen Moment des Innehaltens. Einige besinnliche Momente hätten der Inszenierung zweifellos gutgetan. Eva Jantschitschs Songs, mit witzigen Formulierungen und Reimen gespickt, werden laut und chorisch gesungen - akustisch ist es leider fast unmöglich, ihre Texte vollständig zu verstehen.

Bald aber bekommt die Inszenierung diese Anfangsprobleme in den Griff. Es entwickelt sich eine spannende Aufführung, die vor allem durch ihre humor- und phantasievolle Ausstattung überzeugt. Gerloff nutzt die Möglichkeiten der neuen Spielstätte: Die lautstarke, akustisch dennoch gut ausgesteuerte musikalische Untermalung und die bis zum Einsatz von Stroboskoplicht reichenden Lichteffekte wären in der alten Heimat des Jungen Schauspiels an der Münsterstraße wohl kaum realisierbar gewesen. Die riesige Kulissenwand ziert ein Vorhang wie der Eingang zu einem Zirkuszelt oder einer Geisterbahn; in der zweiten Etage befinden sich kleine Fenster, in der die gut gelaunten Nebendarsteller den Gang der Handlung kommentieren und befördern. Großartig und voller Witz sind auch die Requisiten gestaltet - Pappmaché-Requisiten, die bisweilen sogar mitspielen. Da erblicken wir ein veritables Aktienpaket, das man unterm Arm trägt als wäre man gerade auf dem Weg zur Post, und das Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten wirbt mit dem Vorhandensein von Personenaufzügen oder Bädern im Hause: James Krüss siedelt die Geschichte seines Romans in den 1920ern an; bei Gerloff spielt die Geschichte irgendwo zwischen der Entstehungszeit des Romans im Jahre 1962, als schwarze Taxis Heckflossen trugen, und den von Krüss gewählten 1920er Jahren, als die Grand Hotels noch nicht über Zimmer mit Bad und Whirlpool verfügten.

An solchen liebevoll gestalteten Details erfreut sich mutmaßlich vor allem der ältere Zuschauer. Der lacht aber auch mit den jungen, wenn Cem Bingöl als Opas altes Dampfradio oder als Margarine auftaucht - der zu Geld gekommene Timm beteiligt sich vorübergehend an einer Margarinefabrik - und Eva Jantschitsch wieder einen ihrer milde kapitalismuskritischen Reime loslässt: „Margarine, Margarine, schmier‘ mir meine Geldmaschine…“ Ohnehin sind die Nebendarsteller im Dauereinsatz: Bingöl und Felix Werner-Tutschku wechseln im Akkord ihre Kostüme und schlüpfen in bis zu neun verschiedene Rollen, wobei vor allem Bingöls Reederei-Chef Rickert und Tutschkus Kreschimir sowie sein grandios mafiöser Strizzi Grandizzi beim Rezensenten hängen geblieben sind. Bingöls Rickert und Tutschkus Kreschimir, ein Handlanger des Barons Lefuet, zeichnet übrigens trotz extrem unterschiedlichen sozialen Status eine Gemeinsamkeit aus: Sie wirken zunächst ein wenig suspekt, entpuppen sich aber schließlich als wertvolle Freunde und Helfer in Timms Leben. Ayla Pechtl gelingt es ebenfalls, die unterschiedlichsten Rollen überzeugend zu verkörpern - von der geldgeilen, wenig liebevollen Stiefmutter über den wundervoll exotisch kostümierten Selek Bei bis zur Timm selbstlos unterstützenden Steuerfrau und Taxifahrerin Jenny. Im Zentrum stehen natürlich der manchmal etwas botte, dann wieder anrührende Timm der Hannah Joe Huberty und der mephistophelische Lefuet der Eva-Maria Schindele, dessen teuflische Reinkarnationen auf der Kulissenwand abgebildet sind.

Wiewohl der Inszenierung - wie bereits erwähnt - die ruhigen Momente fehlen, überzeugt die Textfassung von Robert Gerloff und seiner Dramaturgin Leonie Rohlfing. Sie besticht durch wunderbare Fallhöhen zwischen Hoffnung und Trauer, zwischen Weinen um das verlorene Lachen und Freude über Freundschaft und Solidarität - oder einfach zwischen Wettgewinn und Wettinhalt. Timm wettet, der reichste Mensch der Welt zu werden. Der Wetteinsatz ist eine Limonade…